Ab ins Freiwasser: Tipps für das Schwimmen
Rund 2.000 Triathleten treiben entlang einer imaginären Startlinie im Ozean. Angespannt warten sie auf den Startschuss. Dann hallt der ersehnte Kanonendonner über die Bucht und Hunderte Arme pflügen rhythmisch durchs brodelnde Wasser und nehmen Fahrt auf. In breiter Linie schwimmen die Athleten los. Langsam können sich einzelne Schwimmer vom Feld absetzen und ziehen kleine Gruppen von Athleten hinter sich her. Wie an einer Schnur reihen sich die Teilnehmer nach und nach ein. Die anfängliche Hektik legt sich allmählich und jeder versucht, seinen Rhythmus zu finden. 3,86 Kilometer lang ist die Schwimmstrecke beim legendären Ironman Hawaii. Bis zum Schwimmausstieg zieht sich das Feld gewaltig auseinander. Etwa 45 Minuten brauchen die Schnellsten, die letzten Teilnehmer sind erst nach zwei Stunden aus dem Wasser. Wer diese eindrucksvollen Bilder schon mal im Fernsehen oder live gesehen hat, versteht sofort, dass Schwimmen im Triathlon nicht mit einem Wettkampf im Becken vergleichbar ist. Massenstart, Orientierung und die wechselnden Bedingungen machen eine konstante Renneinteilung schwierig. Während im Schwimmbad jeder eine Bahn für sich hat, kommt es im Freiwasser unweigerlich zu Körperkontakt. Da darf man nicht zimperlich sein. Beim Schwimmen im Triathlon sind daher unterschiedliche Strategien gefragt, wenn man unnötige Panik im Wasser vermeiden will. Zwar verzichten immer mehr Veranstalter auf Massenstarts wie beim Ironman Hawaii, aber ganz für sich hat man die Schwimmstrecke nie. Entsprechend sollte man sich im Vorfeld Gedanken über eine geeignete Strategie machen. Wer sich am Start falsch positioniert, muss mit Schlägen und Tritten rechnen – Stress ist vorprogrammiert. Wir zeigen Ihnen auf den folgenden Seiten, worauf es beim Schwimmen im Triathlon ankommt.
Fertig für den ersten Waschgang
Schwimmen hat im Triathlon eine eigene Dynamik. Die erste Disziplin findet in der Regel im offenen Gewässer statt und Freiwasserschwimmen erfordert eine variablere Technik, Orientierung über Wasser und eine eigene Renntaktik.
Spätestens wenn du das erste Mal vom heimischen Trainingspool in den See wechselst, wirst du feststellen, was das Freiwasserschwimmen so anders macht. Je nach Gewässer hat man eine stark eingeschränkte Sicht unter Wasser, es fehlen Kacheln und Linien zur Orientierung und nach 25 oder 50 Metern fehlt die rettende Wand, um sich kurz fest zuhalten. Beim Schwimmen im Meer gibt es außerdem noch ungewohnten Wellengang, wechselnde Strömungen und Windverhältnisse. Erschwerend kommt dann hinzu, dass du im Wettkampf keine Bahn für dich allein hast, sondern in einem Pulk mit anderen Athleten schwimmen musst. Tiefes Wasser, teils schwierige Lichtverhältnisse oder kalte Wassertemperaturen tun ihr Übriges.
Doch welchen Einfluss nehmen die unterschiedlichen Bedingungen auf die Schwimmtechnik? Schauen wir uns zunächst das typische Schwimmtraining im Pool an. Ob klassische, Rotations- oder Front-Quadrant-Technik, Zweier- oder Sechserbeinschlag – es gibt verschiedene Kraultechniken, von denen jede ihre Berechtigung im Schwimmsport hat. Dazu später mehr. Und es gibt auch genug Schwimmer, die mit sehr unterschiedlichen Techniken tolle Schwimmzeiten erzielen. Im Becken gibt es allerdings auch wenige Störfaktoren. Von daher kannst du in Ruhe an der Perfektionierung deiner Technik arbeiten. Eine gute Wasserlage, effizienter Vortrieb durch Armzug und Beinschlag sowie eine flache Kopfhaltung beim Atmen garantieren schnelle Zeiten im Pool. Im Freiwasser lässt sich die ideale Kraultechnik allerdings nur bedingt umsetzen. Selbstverständlich haben gute Beckenschwimmer auch im Freiwasser Vorteile, die Technik muss aber angepasst werden. Es ist daher sinnvoll, möglichst variabel zu trainieren und sich bereits im Pool auf die Begebenheiten im Freiwasser einzustellen.
Zweier- oder Sechserbeinschlag?
Bei der Wahl der für dich passenden Schwimmtechnik solltest du berücksichtigen, dass du als Triathlet anschließend noch Rad fahren und laufen musst, während ein Beckenschwimmer sich auf seiner Strecke im Wettkampf völlig verausgaben kann. Ein sehr aktiver Beinschlag kann einem Sprinter die nötigen Zehntelsekunden bringen, die über Sieg und Niederlage entscheiden. Für Triathleten ist ein kraftraubender Beinschlag hingegen weniger sinnvoll. Beim Beinschlag sind mit der Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur die größten Muskelgruppen des Körpers aktiv. Entsprechend hoch sind der Sauerstoff- und Energieverbrauch. Auf längeren Strecken ist das wenig effizient, denn der daraus resultierende Vortrieb ist gering, die Ermüdung und der Kohlenhydratverbrauch sind dagegen hoch. Laut einer australischen Studie aus Queensland trägt der Beinschlag nur rund vier bis fünf Prozent zum Gesamttempo bei. Das ist auf den langen Schwimmdistanzen im Triathlon sicher nicht entscheidend. Ein Zweierbeinschlag ist hier deutlich kraftsparender und sorgt für die nötige Stabilität im Wasser. Im Training solltest du also verschiedene Beinschlagrhythmen trainieren. Kurze Intervalle und Sprints können auch mit Vierer- oder Sechserbeinschlag geschwommen werden. Nach dem Startschuss gilt es nämlich, sich zügig freizuschwimmen. Hier ist ein aktiver Beinschlag sinnvoll, genauso wie vor dem Schwimmausstieg, um die Durchblutung in den Beinen zu aktivieren, damit dir nach dem Ausstieg nicht der Kreislauf absackt. Für den Großteil der Schwimmstrecke wäre aber der energiesparende Zweierbeinschlag die Technik der Wahl.
Gleiten oder permanent paddeln?
Beim Armzugmuster gibt es ebenfalls verschiedene Techniken. Grundsätzlich ist beim Triathlon die Ökonomie der Schwimmtechnik entscheidend. Es kommt darauf an, mit möglichst wenig Energieaufwand möglichst schnell ans Ziel zu kommen. Einige Athleten schwimmen daher gerne mit einer längeren Gleitphase. Das soll Energie sparen und für Erholung zwischen den Zügen sorgen. Obwohl der Gedanke grundsätzlich logisch erscheint, ist es wenig ökonomisch, lange zu gleiten. Man kann das mit dem Straßenverkehr in Großstädten vergleichen. Ständiges Stop-and-Go aufgrund roter Ampeln verbraucht mehr Treibstoff, als bei grüner Welle im Verkehr mit zufließen. Es ist effizienter, ein System in Bewegung zu halten, als dieses immer wieder neu beschleunigen zu müssen. Langes Gleiten beim Kraulen sorgt für einen starken Geschwindigkeitsverlust. Entsprechend viel Kraft ist nötig, um den Körper mit jedem Armzug wieder in Bewegung zu bringen. Dieser Umstand würde für die Rotationstechnik sprechen, bei der die Arme für permanenten Vortrieb sorgen. Eine Gleitphase gibt es quasi nicht. Allerdings gibt es auch dabei nur wenig Erholung für den Schwimmer. Bei der Front-Quadrant-Technik gibt es dagegen eine kurze Gleitphase. Wobei der Begriff hier etwas irreführend ist: Gleiten ist ein Zustand, bei dem es zu keiner Kraftübertragung im Wasser kommt. Das ist aus beschriebenen Gründen jedoch unökonomisch, weshalb man bei der Front-Quadrant-Technik besser von einer Streckphase redet. Nach dem Eintauchen macht der Schwimmer sich möglichst lang, indem er den Arm aus der Schulter heraus nach vorn schiebt. Diese Phase der Armbewegung dauert nur wenige Augenblicke, bevor der Unterarm wieder angestellt wird und der Unterwasserzug beginnt. Egal für welche Zugtechnik du dich entscheidest, im Pool kannst du diese ungestört trainieren, um sich auf den Wettkampf im Freiwasser vorzubereiten.
Zweier- oder Dreierzug?
Ein weiterer Streitpunkt unter Schwimmexperten ist der Atemrhythmus. Ist es sinnvoller, zu beiden Seiten zu atmen oder nur zu einer Seite? Für beides gibt es stichhaltige Argumente. Bei der beidseitigen Atmung trainieren Sie Ihren Körper symmetrisch und vermeiden eine einseitige Belastung. Zudem ermöglicht dir die beidseitige Atemtechnik, bei Bedarf die Atmung im Freiwasser anzupassen. Wenn du beispielsweise nur nach rechts atmen kannst und im Wettkampf von dort die Brandung kommt, wird es schwer, Luft zu holen. In diesem Fall ist es sinnvoller, zur anderen Seite zu atmen, um den Wellenbergen auszuweichen. Eine wechselseitige Dreieratmung hat dagegen den Nachteil, dass du erst einen halben Armzyklus später Luft holen kannst als bei der Zweieratmung. Sauerstoff ist ein limitierender Faktor im Ausdauersport. Je früher du wieder Luft holst, desto länger kannst du ein hohes Tempo aufrechterhalten. Du solltest dennoch im Training die Atmung zu beiden Seiten üben. Statt der Dreieratmung kann man beispielsweise auch Intervallserien schwimmen, bei denen man von Bahn zu Bahn die Atemseite wechselt.
Orientierung im Freiwasser
Ein gravierender Unterschied zwischen Becken und offenen Gewässern ist die Orientierung. In den meisten Seen ist die Sicht unter Wasser stark eingeschränkt. Vor allem, wenn das Wasser tiefer wird. Während man sich im Pool einfach an der farbigen Linie unter Wasser orientieren kann, muss man im See auch mal den Kopf anheben, wenn man nicht im Kreis schwimmen will. Darauf kannst du dich in deinem Beckentraining bereits vorbereiten. Damit Triathleten bei der Orientierung im Freiwasser nicht an Tempo verlieren, wird alle paar Armzüge ein Wasserballkraulzug absolviert. Dabei ist es entscheidend, den Kopf nicht zu stark anzuheben, weil sich dadurch die Wasserlage verschlechtert und die Geschwindigkeit sinkt. Es reicht, wenn du die Augen kurz aus dem Wasser heben, um nach vorn zu schauen. Danach drehst du den Kopf auf die Seite und atmest wie gewohnt ein. Wasserballkraul solltest du regelmäßig ins Schwimmtraining einbauen. Dabei solltest du den Beinschlag steigern, um ein Absinken der Beine zu verhindern. Schwimme immer mal wieder kurze Serien von 10 bis 15 Metern im Wasserballkraulstil. Oder du baust drei oder vier Wasserballkraulzüge pro Bahn in deine Intervallserien ein. Im offenen Gewässer kann es vorkommen, dass du dich nicht sofort orientieren kannst, wenn du den Kopf nur einmal kurz aus dem Wasser heben. Eventuell musst du auch zweimal hintereinander den Kopf kurz mit den Augen aus dem Wasser heben, um markante Landmarken oder Bojen zu entdecken. Versuche das zu trainieren, ohne dabei signifikant an Tempo zu verlieren. Sobald du dann tatsächlich im See trainieren, solltest du alle drei bis fünf Armzyklen einen oder zwei Wasserballkraulzüge einbauen. Welcher Rhythmus hier für dich richtig ist, hängt davon ab, wie gut du Kurs halten kannst. Schwimme im See einfach mal für 20 Armzüge mit geschlossenen Augen auf eine Boje zu und schauen anschließend, ob und wie weit du vom Kurs abgekommen bist.
Sicherheit in offenen Gewässern
Beim Training im Schwimmbad denken die meisten Triathleten sicher nicht über mögliche Risiken nach. Schließlich steht ja im Notfall ein Bademeister am Beckenrand. Freiwassertraining findet jedoch häufig ohne Aufsicht statt. Dementsprechend solltest du geeignete Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Die wichtigste Regel in offenen Gewässern: Gehe nie allein schwimmen! Auch wenn du ein erfahrener Schwimmer bist, kann ein schmerzhafter Wadenkrampf dich in einem See bereits in ernsthaftes Bedrängnis bringen. Trainiere also lieber zu zweit oder besser noch zu dritt, damit im Notfall ein Schwimmer vor Ort bleiben und der andere Hilfe holen kann. Je nachdem, wo du dein Freiwassertraining absolvierst, bist du möglicherweise nicht allein im Wasser. Damit Boote, Surfer oder Jetskifahrer dich rechtzeitig entdecken, solltest du eine bunte Badekappe tragen. Außerdem gibt es aufblasbare Bojen, die von Weitem gut sichtbar sind. Ein weiterer Vorteil: Im Inneren der wasserdichten Boje kannst du deine Wertsachen, ein zusätzlich wasserdicht verpacktes Handy oder deinen Autoschlüssel deponieren.
Trainingsgestaltung im Freiwasser
Einfach Strecke zu schwimmen, ist eine Sache, die du in offenen Gewässern machen kannst. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, dein Freiwassertraining abwechslungsreicher zu gestalten. Neben Übungen zur Orientierung im offenen Gewässer kannst du beispielsweise die verschiedenen Startmöglichkeiten durchspielen. In Seen gibt es häufig einen Landstart: Vom Strand aus wird dabei ins Wasser gelaufen, bis das Wasser tief genug zum Schwimmen ist. Bei einem seichten Schwimmeinstieg kannst du viel Zeit gutmachen, indem du möglichst weit ins Wasser reinläufst und dann ein paar Delfinsprünge ausführst. Das Gleiche gilt für den Schwimmausstieg oder einen kurzen Landgang zwischen zwei Runden, wie es bei manchen Triathlons üblich ist. Übe ein paar Mal den Schwimmstart von Land aus und schwimme anschließend eine kurze Strecke zügig an. Es gibt auch Wettkämpfe, bei denen du aus tiefem Wasser heraus starten musst. Das kannst und solltest du ebenfalls in dein Training einbauen. Gehe in Bauchlage und hebe deine Füße an. Versuche einen Moment im Wasser zu treiben und beschleunige dann maximal für 10 bis 20 Armzüge. Setze auch deinen Beinschlag aktiv ein, um schnell von Null auf Sprinttempo zu kommen. Gehe danach in einen ruhigeren Rhythmus mit Zweierbeinschlag über und schwimmen weitere 10 bis 20 Armzüge locker. Wiederhole die Übung einige Male. Das Umschwimmen von Bojen solltest du ebenfalls in dein Trainingsprogramm aufnehmen. Versuche dabei, möglichst wenig Tempo zu verlieren. Eine andere Alternative für mehr Abwechslung sind Fahrtspiele: Wechsle spielerisch das Tempo. Variiere kurze Sprints mit ruhigem Grundlagentempo und länger werdenden Passagen im geplanten Wettkampftempo. Deiner Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Als Orientierung kannst du etwa Armzüge zählen oder mit einer GPS-Uhr eine Strecke abmessen, auf der du anschließend ein Intervallprogramm abschwimmen.
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