Aus eins mach drei: Vom Spezialisten zum Triathleten
Wie wird man eigentlich Triathlet? Für viele beginnt der Weg zum Dreikampf in einer der drei Einzeldisziplinen. Wir geben Tipps, wie der Übergang vom Spezialisten zum Triathleten zu schaffen ist, ohne Verletzungen zu riskieren.
Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012: Lucy Charles, damals 18 Jahre alt, möchte sich den Traum von Olympia erfüllen. Sowohl über die 800 Meter Freistil im Becken als auch über die olympische Zehn-Kilometer-Freiwasser-Strecke tritt die junge Britin an, verpasst aber die Qualifikation. Zeitsprung in den September 2021: Mittlerweile verheiratet und mit dem Namenszusatz ihres Mannes feiert Lucy Charles-Barclay den bisher größten Erfolg ihrer Triathlonkarriere. Nach zwei zweiten Plätzen bei der Ironman-70.3-WM läuft sie in St. George nach 4:00:20 Stunden über die Ziellinie und sichert sich ihren ersten Weltmeistertitel. Außerdem stehen drei zweite Plätze bei der Ironman-WM und viele weitere Erfolge auf ihrer Liste.
Beispiele für einen Karriereweg wie von Charles-Barclay gibt es im Triathlon einige. Ruben Zepuntke war erst als Radprofi aktiv. Nachdem er dort seine Karriere beendet hatte, wechselte er zum Dreikampf. Cameron Wurf begann seine als Ruderer, nahm 2004 im Leichtgewichtszweier an den Olympischen Spielen in Athen teil, danach wechselte er zum Radsport und 2015 startete er seine erste Langdistanz. Anne Reischmann begann ihre sportliche Laufbahn in der Leichtathletik. Doch nicht nur in jüngerer Vergangenheit rückten Triathleten ins Blickfeld, die sich vorher in einer der drei Disziplinen oder in einem anderen Sport etabliert hatten. Der Legende nach entstand der Ironman Hawaii aus einer Meinungsverschiedenheit: Ein Schwimmer, ein Radfahrer und ein Läufer diskutierten darüber, wer wohl der bessere Sportler sei. Um diese Frage zu beantworten, entschied man sich für ein Kombi-Rennen, bestehend aus den Strecken des „Waikiki Roughwater Swim“, des Radrennens „Ride around the Island“ und des Honululu-Marathons. „Whoever finishes first, we’ll call him the Ironman“, soll Navy Commander John Collins schließlich gerufen und damit den Grundstein für eine ganze Sportart gelegt haben. Echte Triathleten gab es zu dieser Zeit noch nicht, der erste Sieger des Rennens, das später der Ironman Hawaii werden sollte, musste also ein Spezialist sein. Der erste Ironman, sein Name war Gordon Haller, stammte ursprünglich aus dem Laufsport.
Auch viele Agegrouper, die mit einer der drei Triathlondisziplinen groß geworden sind, wagen irgendwann den Schritt in den Dreikampf. So wie zuletzt Marco Koch. Der Weltmeister von 2015 über 200 Meter Brust startete im August 2022 beim Frankfurt City Triathlon erstmals auf einer Mitteldistanz. Die Motivation bei den Athleten ist unterschiedlich. Während die einen größere Herausforderungen suchen, als ihnen eine Disziplin bietet, wagen andere den Blick über den Tellerrand, um schlussendlich ihrer Spezialdisziplin treu zu bleiben.
Vorteile für die Einen, Nachteile für die anderen
Welche Sportart sich zur Vorbereitung auf den Triathloneinstieg am ehesten eignet, lässt sich nicht vorhersagen. Sowohl Schwimmer als auch Radfahrer und Läufer bringen Fähigkeiten mit, die ihnen im Triathlon einen Vorteil gegenüber anderen Athletinnen und Athleten verschaffen können. Wer erst im Erwachsenenalter mit dem Schwimmen beginnt, muss viel Zeit und Kraft in das Techniktraining investieren, denn Schwimmen ist die technisch und koordinativ anspruchsvollste der drei Disziplinen. Die Grundlagen, die einen guten Schwimmer ausmachen, werden oftmals schon im Kindesalter geschaffen, wenn sich Motorik und Koordination besser trainieren lassen. Im Erwachsenenalter damit zu beginnen, erfordert neben viel Übung auch Geduld und Zeit, die man erst einmal aufbringen muss. Schließlich wollen ja auch noch zwei weitere Disziplinen trainiert werden. Jetzt könnte man sagen, dass das Schwimmen in der Gesamtheit nur einen Bruchteil ausmacht. Und im Hinblick auf die Zeit, die man im Wettkampf mit den einzelnen Disziplinen verbringt, mag das sogar stimmen. Besonders bei der Langdistanz stellt die erste Disziplin mit 3,8 von 226 Gesamtkilometern schließlich die mit Abstand kürzeste Strecke dar. Warum also dafür viel Trainingszeit investieren? Schaut man sich die Entwicklungen der letzten Jahre an, stellt man aber fest, dass Schwimmen im Triathlon immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Leistungsdichte nimmt über alle Disziplinen zu, deshalb sind echte Schwächen in der Spitze nicht mehr erlaubt.
Belastung langsam steigern
Beckenschwimmer und Radsportler bringen für gewöhnlich eine hohe aerobe Kapazität mit, im Gegensatz zu Radfahrern funktioniert der Stoffwechsel der Schwimmer jedoch anders. Wer aus der zweiten Disziplin kommt, ist es gewohnt, große Umfänge im Grundlagenbereich zu absolvieren, dagegen trainieren Schwimmer kürzere Serien und intensiver. Wer den Sprung aus dem Radsport zum Triathlon wagt, hat meist einen guten Fettstoffwechsel, muss sich jedoch in Geduld üben. Die Länge der Trainingseinheiten lässt sich nicht eins zu eins auf die anderen Disziplinen übertragen, ansonsten drohen schnell Überlastungsverletzungen. Besonders beim Laufen. Dort haben Schwimmer und Radsportler nahezu das gleiche Problem: Ihre Körper sind die hohen orthopädischen Belastungen nicht gewohnt. Deswegen müssen sie es langsam angehen und die Belastung im wahrsten Sinne des Worts Schritt für Schritt steigern, um die nötige Robustheit aufzubauen und die Gelenke nicht zu überfordern. „Radfahrer sind cardiovaskulär gut vorbereitet“, erklärt Coach Björn Geesmann. „Anders als Schwimmer haben Radfahrer auch schon mehr mit den Beinen trainiert. Die passiven Strukturen der Sehnen und Bänder passen aber gar nicht.“ Im Vergleich zu einem Läufer sind diese bei Radfahrern schwächer ausgeprägt. Das Herz-Lungen-System, also der Motor, würde die Belastung zwar mitmachen, die Gefahr liege jedoch bei der Karosserie.
Hier bringen wiederum Läufer einen Vorteil mit. Als Spezialisten der orthopädisch anspruchsvollsten der drei Disziplinen haben sie das geringste Überlastungsrisiko, der Laufsport bringt dafür andere Nachteile mit sich. Läufer haben traditionell unbeweglichere Gelenke, besonders beim Schwimmen kann ihnen das zur Last werden. Zwar sind Triathleten nicht unbedingt dafür bekannt, den großen Vortrieb beim Schwimmen aus den Beinen zu generieren, ein technisch falscher Beinschlag durch zu steife Fußgelenke macht jedoch den Vortrieb aus den Armen zunichte.
Jeder Spezialist, der aus einer der drei Sportarten zum Triathlon wechselt, bringt demnach Fähigkeiten mit, die sich im Dreikampf als Vorteil erweisen können. Was bedeutet das aber für die anderen beiden Disziplinen? Insgesamt sind Triathleten komplette Athleten, sie müssen drei Disziplinen beherrschen, deren Anforderungen sich in gewissen Punkten überschneiden, teilweise aber auseinanderdriften. Das muss beim individuellen Training beachtet werden. Hier spielen besonders die körperlichen Voraussetzungen eine Rolle. Wer in einer Disziplin besonders stark ist und die Grundvoraussetzungen bereits früh erlernt hat, muss nicht mehr so viel Zeit und Energie in die Grundausbildung stecken. Das gilt besonders beim Schwimmen, der wie zuvor erwähnt technisch anspruchsvollsten Disziplin.
Technik, Technik, Technik
Wer als Späteinsteiger das Wasser für sich entdeckt oder sich möglicherweise nur aus Freude am Triathlon ins kühle Nass wagt, muss viel Zeit in die richtige Schwimmtechnik investieren, insbesondere in die Wasserlage. Dafür ist es durchaus ratsam, mit einem Schwimmtrainer zusammenzuarbeiten. Ob das in Form eines Einzelcoachings oder in einer Trainingsgruppe stattfindet, ist dabei egal. Wichtig ist nur, dass jemand vom Beckenrand aus die Schwimmtechnik beobachtet. Nur so kann verhindert werden, dass sich grobe Fehler einschleichen. Denn hat sich eine falsche Schwimmtechnik erst einmal gefestigt, ist es sehr schwer, sie wieder loszuwerden. Paddles, Flossen und Pull-Buoy sind gute Trainingstools und können, wenn sie mit Bedacht eingesetzt werden, dabei helfen, besser zu werden. Werden sie zu viel genutzt, setzt jedoch ein Gewöhnungseffekt ein. Das gilt besonders für die Pull-Buoys, die die Wasserlage unterstützen. Man sollte versuchen, beim Training möglichst viel ohne Hilfsmittel zu schwimmen, um den gesamten Körper schwimmspezifisch zu fordern.
Radfahren und Laufen haben eine weitere Gemeinsamkeit: Im Gegensatz zum Schwimmen belasten beide Disziplinen die Beine. Und doch ist die Belastung eine andere. Läufer sind es gewohnt, auf kurze Bodenkontaktzeiten hinzuarbeiten, auf dem Rad müssen hohe Wattzahlen über einen längeren Zeitraum getreten werden. Das führt dazu, dass die Belastung auf die Muskulatur wie auf die Gelenke eine andere ist. Jetzt mag man vielleicht denken, dass Radfahren nicht so schwer sein kann, doch gibt es auch da einige Tücken zu beachten. Zum Einstieg sollte man sich niemals zu viel auf einmal vornehmen, das gilt auf dem Rad genauso wie bei den anderen Disziplinen. Anstatt einen bestimmten Schnitt zu forcieren und sich damit möglicherweise zu überanstrengen, ist es ratsamer, das subjektive Empfinden oder den Puls im Auge zu behalten. Auch sollte man niemals ohne Verpflegung zu einer Radausfahrt aufbrechen. Wer glaubt, diese nicht zu brauchen, kann bei einer Ausfahrt böse von einem Hungerast überrascht werden. Ein Blick auf das Equipment ist ebenfalls sinnvoll. Es muss nicht immer professionell und teuer sein. Wichtig ist vielmehr, dass es zum Fahrer passt und richtig eingestellt ist. Ist die Position falsch, drohen Verletzungen. Das ist vermeidbar. Deswegen gilt: Sollte es irgendwo zwicken, lohnt sich häufig ein Bikefitting. Das ist günstiger als ein neues Fahrrad.
Laufen ist die einzige Impact-Sportart im Triathlon. „Das bedeutet, dass mit jedem einzelnen Schritt das eigene Körpergewicht abgefangen und wieder herausbeschleunigt werden muss“, erklärt Geesmann. Für Sportler, deren Körper das bisher nicht gewohnt war, entsteht dabei ein großes Risiko. Wer diesen Druck auf den Körper nicht kennt, sollte nicht zu ambitioniert anfangen, sonst sind Verletzungen programmiert. Besonders Schwimmer, die die Anstrengungen an Land nicht gewohnt sind, müssen vorsichtig sein. Die neuen Belastungen auf die passiven Strukturen wie Bänder, Sehnen und Gelenke können ohne Vorwarnung zu Schienbeinproblemen und anderen Überlastungsphänomenen führen. Aber für die Vertreter der ersten Disziplin gibt es auch gute Nachrichten: Schwimmerinnen und Schwimmer haben häufig eine hervorragende Rumpfstabilität, die das Erlernen des richtigen Laufstils erleichtern und unterstützen kann. Zwar sind Radfahrer Belastungen der Beinmuskulatur eher gewohnt als Schwimmer, doch sind diese beim Laufen anders geartet. Deshalb müssen sie ebenfalls vorsichtig sein. Anstatt sich von Beginn an auf lange Einheiten einzustellen, sollte der Fokus erst einmal auf der richtigen Technik liegen. Dabei spielt auch das Schuhwerk eine bedeutende Rolle. Hier sollte man nicht am falschen Ende sparen und sich beim Kauf professionell beraten lassen.
Weniger ist mehr
Schließlich sei gesagt, und das ist sicher keine Überraschung, dass der Wechsel von einer auf drei Sportarten mit einer Trainingsveränderung einhergeht. Training für eine einzelne Sportart ist schon von den Grundvoraussetzungen her anders als das Training für drei Disziplinen mit so unterschiedlichen Anforderungen. Die Übungszeit zu verdreifachen, um alle Disziplinen auf dem gleichen Niveau zu trainieren, funktioniert nicht. Deswegen müssen die Trainingsumfänge angepasst werden, auch um die bereits angesprochenen Überlastungsverletzungen zu vermeiden. Dabei kann es nötig sein, den Trainingsumfang der Spezialdisziplin ein wenig zu reduzieren, um dadurch genug Zeit für die anderen Disziplinen zu finden. Das gesamte Trainingsvolumen zu steigern, ist kein Problem. Die Steigerung sollte jedoch langsam erfolgen, damit der Körper eine Chance hat, sich anzupassen. Wer schnell zu viel will, riskiert gesundheitliche Probleme, Zwangspausen vom Sport und macht damit letztendlich einen Schritt zurück. Mehr Training bedeutet auch, dass die Regeneration nicht zu kurz kommen darf. Ausreichend Schlaf und eine angepasste Ernährung unterstützen das Training und tragen so zur Leistungssteigerung bei. Bei allem Fokus auf Schwimmen, Radfahren und Laufen dürfen Mobilisation und Stabitraining nicht zu kurz kommen. Generell bietet eine sportliche Grundausbildung, egal in welchem Bereich, immer eine gute Ausgangssituation. Gerade im Kindesalter und in jungen Jahren ist eine umfassende Sportausbildung wichtig, eine Spezialisierung im höheren Alter meist möglich. Um den Einstieg in die durchaus komplexe Sportart Triathlon zu schaffen, empfiehlt Coach Geesmann außerdem, es möglichst einfach zu halten und nicht zu viele Schritte auf einmal zu machen. Wer sich zu sehr auf Material und technische Hilfsmittel besinnt, verliert schnell das Wesentliche aus den Augen.
Der Spaß soll im Fokus stehen
Zusätzlich zu den körperlichen Voraussetzungen und Anforderungen an alle drei Disziplinen des Triathlons ist auch die mentale Komponente extrem wichtig. Triathlon bedeutet, sowohl im Wettkampf als auch beim Training viele Stunden mit sich selbst und den eigenen Gedanken zu verbringen. Da kommt auch gelegentlich die Frage nach dem Warum auf. Je härter die Trainingseinheit und je härter das Rennen, desto eher lockt die Stimme im Kopf damit, einfach aufzuhören und vielleicht doch etwas Entspannteres zu machen. Aber das ist nicht drin.
Egal welche körperlichen Voraussetzungen man mitbringt, ohne mentale Stärke und Durchhaltevermögen funktioniert nichts. Der beste Schwimmer, Radfahrer oder Läufer kann niemals ein Triathlet werden, wenn er nicht bereit ist, sich durchzubeißen und seinen inneren Schweinehund zu besiegen. Und natürlich darf auch der Spaß am Sport nicht zu kurz kommen. Schließlich ist Triathlon für die meisten ein Hobby, das schlicht und ergreifend aus Spaß betrieben wird. Und kommt der Spaß zu kurz, ist das Hobby nichts mehr wert.
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