Beats per minute: Wie steht es um herzfrequenzgesteuertes Training?

Wer drei Disziplinen trainiert und „nebenher“ noch Job und Sozialleben hat, der weiß: wohl dem, der das Maximum aus der vorhandenen Trainingszeit holt. Das gelingt, wenn man das Training individuell steuert. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist die Betrachtung der Herzfrequenz. Sie gibt Aufschluss darüber, wie intensiv du deinen Körper belastest beziehungsweise wie angestrengt er auf eine Belastung reagiert. Denn das Herz schlägt schneller unter Belastung. Das liegt daran, dass die Muskeln bei körperlicher Aktivität mehr Sauerstoff benötigen, weshalb sich der Kreislauf beschleunigt, um mehr sauerstoffhaltiges Blut zu den Muskelzellen zu transportieren. Und das Herz, die Pumpe des Blutkreislaufs, muss schneller arbeiten. Durch regelmäßiges Training passt sich das Herz an, es wird größer und benötigt weniger Schläge, um die gleiche Menge an Blut zu transportieren. Die Herzfrequenz erlaubt dem Athleten, seine sportliche Belastung zu optimieren, zielgerichtet und effektiv zu trainieren, aber auch, Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit zu ziehen. Schwimmst, radelst oder läufst du bei gleicher Geschwindigkeit mit einer niedrigeren Herzfrequenz oder bist du bei gleicher Herzfrequenz schneller unterwegs, hat das Training angeschlagen. Theoretisch.

Sensibles Steuerungstool

Denn die Herzfrequenz ist eine sehr individuelle Kenngröße, die von verschiedenen Faktoren abhängt, und ist leicht beeinflussbar. Zum Beispiel von Tageszeit, Alter, Trainingszustand, Wetter, Höhe, Ernährung, Flüssigkeitsversorgung, Emotionen, Schlafqualität und -dauer, Infekten, Medikamenten usw. Es ist also weder ungewöhnlich, dass zwei Athleten bei identischem Tempo eine völlig andere Herzfrequenz haben, noch ist sie bei ein und demselben Athleten immer absolut gleich, selbst wenn er laut Trainingsplan bei gleicher Intensität trainiert. Deshalb ist der Puls zwar ein wichtiges Instrument zur Trainingssteuerung, sollte aber nicht die einzige Kenngröße sein, sondern um mindestens einen weiteren Kontrollparameter ergänzt werden. Im Schwimmen und Laufen ist dies beispielsweise die Geschwindigkeit, auf dem Rad die Leistung (Watt) – die beide wiederum ihrerseits weniger aussagekräftig sind, wenn der Athlet die Herzfrequenz nicht erfasst: „Training nach Herzfrequenz hat nach wie vor seine Berechtigung, weil die Herzfrequenz immer noch direktes Feedback vom Körper gibt. Erfasst man auf dem Rad die Leistung in Watt, stehen da zwar sofort die entsprechenden Zahlen, diese spiegeln aber nur bedingt die körperliche Reaktion wider, Dehydrierung, Übermüdung oder auch Infekte – das heißt, ein fünf bis zehn Schläge höherer Ruhepuls – lassen sich nur über Pulsabweichungen erkennen“, erklärt Michael Krell, Triathlon-Coach und Autor verschiedener Trainingsbücher. Auch im technikbegeisterten „Team Norway“ spielt die Messung der Herzfrequenz eine Rolle.

Auch Dan Lorang, Trainer vieler Triathlonprofis wie Anne Haug, Lucy Charles-Barclay, Frederic Funk und Jan Frodeno, sieht die Herzfrequenzmessung nach wie vor als wichtiges Hilfsmittel zur Trainings- und Wettkampfsteuerung – gerade bei drei zu trainierenden Disziplinen. „Wenn man sich die Gesamtbelastung über die unterschiedlichen Sportarten hinweg anschaut, hat man mit der Herzfrequenz einen objektiveren Parameter, als wenn man versucht, Geschwindigkeiten mit Watt zu vergleichen“, sagt er.

Die Trainingssteuerung nach Herzfrequenz und auch die dafür verfügbaren Technologien sind durchaus sinnvoll. Allerdings nicht gleichermaßen für jede Triathlondisziplin und jede Trainingseinheit.

Schwimmen  

„Inzwischen ist die Technik so weit, dass man auch im Schwimmen valide Werte bekommt“, ist die Erfahrung von Dan Lorang. In der ersten Disziplin liefert die Herzfrequenz zunächst einmal einen guten Anhaltspunkt, um zu verstehen, wie hoch die Belastung tatsächlich ist. Vor allem für die längeren Strecken ist es interessant zu sehen, was im Körper des Athleten passiert und in welchem Stoffwechselbereich dieser sich bewegt. „Wichtig ist hier, dass der Puls sofort nach dem Anschlagen gemessen wird, das erfordert etwas Gewöhnung und Übung“, erklärt Petra Wolfram, die viele Jahre als trainingswissenschaftliche Beraterin von nationalen und internationalen Spitzensportlern am Olympiastützpunkt Hamburg/ Schleswig-Holstein tätig war. Dann ist das Training nach Puls ihrer Meinung nach auch für Hobbysportler sinnvoll, da diese ein Gefühl für die jeweilige Belastung bekommen und sich Technikverbesserungen beispielsweise in einem geringeren Kraftaufwand und damit einem niedrigeren Puls niederschlagen.

Nachteilig bei der Herzfrequenzmessung beim Schwimmen ist, wenn der Athlet einen Brustgurt tragen muss. Vor allem bei Männern, die ihn nicht unter einem Badeanzug fixieren können, kann er leicht verrutschen. Diese Art der Pulsermittlung ist aber im Fall vieler Anbieter die einzige Möglichkeit fürs Wasser – und nach wie vor die akkurateste, auch, wenn „bei den Uhrmessungen im Wasser die Genauigkeit sicher nicht bei 100 Prozent ist“, wie Dan Lorang sagt.

Rad

Auf dem Bike ist die Herzfrequenzbestimmung nach wie vor eine valide Messung und eine wichtige Information. Denn auch wenn der Athlet einen Wattmesser am Rad hat, zeigen diese Werte nur den Input des Sportlers und nicht, wie sein Körper auf die Belastung reagiert. Bei längeren Intervallen über mehrere Minuten oder bei Grundlageneinheiten kann ein erfahrener Trainer anhand des Pulses zum Beispiel erkennen, was im Stoffwechsel vorgeht und wie belastend die jeweilige Einheit für den Körper ist. „Bei reiner Steuerung über Watt weiß man am Ende nur, ob der Athlet die Einheit geschafft hat oder nicht“, erklärt Lorang. Aber nicht, was die Ursache seitens des Herz-Kreislauf-Systems sein könnte.

Problematisch ist dagegen der Versuch, kurze Belastungen wie harte VO2max-Intervalle auf dem Rad über die Herzfrequenz zu steuern. Denn der Puls braucht immer ein bisschen, bevor er auf eine sich ändernde Belastung reagiert. Darunter leidet dann die Genauigkeit bei kurzen Intervallen oder Sprints. „Ich würde immer beides empfehlen, Leistungs- und Pulsmesser“, rät Lorang.

Laufen

In der dritten Disziplin verhält es sich mit der Trainingssteuerung über die Herzfrequenz ähnlich wie beim Radfahren: Ruhige, lange Läufe und längere Intervalle eignen sich gut dafür. Auch um die Intensität in welligem Gelände konstant zu halten, ist der Puls ein sinnvolles Kontrollmittel.

Kurze Intervalle von 100 bis 400 Metern Länge sind dagegen etwas für die Steuerung über das Tempo, da der Puls gar nicht so schnell reagieren kann, wie der Athlet zwischen Belastung und Erholung wechselt. Hier kann die Herzfrequenz keine signifikanten Hinweise auf die Belastung geben.

Auch im technikbegeisterten „Team Norway“ spielt die Messung der Herzfrequenz eine Rolle.

Pulsmessung per Licht

Neue Entwicklungen im Bereich der Sportuhren haben es zudem einfacher gemacht, die Herzfrequenz 24 Stunden lang zu erfassen. Dank Messung am Handgelenk ist der Pulsmesser immer am Athleten, das könne „spannend sein für die Schlafanalyse oder um zu sehen, was passiert, wenn der Athlet nach dem Training ruht und regeneriert“, so Lorang. Insofern hat die Entwicklung der optischen Herzfrequenzmessung an Handgelenk oder Oberarm zu einem neuen Stand geführt, andere Möglichkeiten eröffnet und die Hürde gerade für Hobbyathleten niedriger gelegt, sich einen Pulsmesser zuzulegen und auch zu benutzen.

Die sogenannte Photoplethysmographie, die bei der Handgelenksmessung zum Einsatz kommt, erfasst, vereinfacht gesagt, das Blutvolumen in den Arterien über zwei oder mehr LED-Lämpchen auf der Rückseite der Uhr sowie über einen optischen Sensor. Die LEDs „durchleuchten“ Haut und Blutgefäße. Je nach Blutvolumen, das die Lämpchen passiert, wird deren Licht reflektiert oder absorbiert. Der Sensor misst, wie viel Licht zurückgeworfen wird, wodurch sich der aktuelle Puls ermitteln lässt. Diesem Verfahren beziehungsweise den getesteten Geräten mit dieser Technologie bescheinigte eine Studie aus dem Jahr 2017 von Robert Wang von der US-amerikanischen Cleveland Clinic und einigen Wissenschaftlerkollegen aber ebenso eine „sehr unterschiedliche Messgenauigkeit“ wie eine Untersuchung, die das US-ameri- kanische Biometrieunternehmen Valencell im gleichen Jahr veröffentlichte. Doch: Immerhin arbeiteten die meisten Geräte innerhalb eines Abweichungsbereichs von fünf Prozent im Vergleich zu einem EKG-genauen Brustgurt. Diese Abweichung kommt vor allem dadurch zustande, dass die Uhr oft nicht gut genug sitzt, um präzise zu messen. Sei es, weil Schweiß sie rutschen lässt, das Gerät zu groß oder zu klein ist fürs Handgelenk des jeweiligen Athleten, das Band nicht fest genug oder zu fest zugezogen wurde oder ruckartige Bewegungen den Kontakt der LEDs zur Haut kurzzeitig unterbrechen.

Lieber doch mit Gurt?

Auch erfasst eine Pulsmessung am Handgelenk „bei Intervalltrainings Veränderungen mit einer leichten zeitlichen Verzögerung und damit langsamer und weniger präzise als eine mittels Brustgurt, der in unmittelbarer Herznähe sitzt“, räumt Peter Weirether, Head of Category Management bei Garmin ein. Aus diesem Grund bietet der Hersteller von Smartwatches, Wearables und GPS-Sportuhren auch weiterhin unterschiedliche Brustgurte als Zubehör für die Athleten an und empfiehlt ihn laut Weirether nach wie vor „für Sportler, die häufig Intervalltrainings absolvieren“. Auch beim Schwimmen ist die Herzfrequenzmessung im Fall der meisten Geräte fehleranfällig, da der Wasserfilm die Messgenauigkeit des optischen Sensors und die Funktion der LEDs beeinträchtigt. Doch hier tut sich etwas: In einem triathlon-Test zeigte sich das Garmin-Softwareupdate, das die Triathlon-Topuhren auch für die Pulsmessung unter Wasser aufrüstet, als erstaunlich akkurat.

Dennoch: Auch wenn sich die optische Herzfrequenzmessung in den vergangenen Jahren immer weiterentwickelt hat und die Geräte mittlerweile (oftmals) auch Parameter wie Schlafqualität, Stresslevel oder Sauerstoffsättigung messen und sicherlich eine gute Orientierung für das Training der meisten Hobbysportler bieten können – eine EKG-Genauigkeit wie beim Brustgurt haben sie noch nicht erreicht. Oder, wie es Weltmeister-Coach Dan Lorang ausdrückt: „Unter Belastung bin ich noch immer skeptisch bei der Handgelenksmessung, da erlebe ich immer wieder Ausfälle und dass es nicht zuverlässig ist. Ich setze noch immer auf den Brustgurt und denke auch, dass man sich von der Genauigkeit her schwertut, da hinzukommen.“

Der Brustgurt gilt nach wie vor als „Goldstandard der Herzfrequenzmessung“, wie Hersteller Polar es ausdrückt. Er misst die Aktivität des Herzens, indem er dessen elektrische Signale mittels eines Sensors am Gurt erfasst und in Herzfrequenzdaten um-wandelt. In den vergangenen Jahren ist die Entwicklung so weit fortgeschritten, dass verschiedene Modelle nicht nur anzeigen, ob ihr Träger sich im optimalen oder angestrebten Trainingspulsbereich befindet, sondern sie auch die Herzfrequenzvariabilität ermitteln können. Das ist ein wichtiger Gradmesser für die Leistungsfähigkeit, denn, um es sehr vereinfacht auszudrücken: Je stärker der Herzschlag um den individuellen Grundwert schwankt, je unregelmäßiger das Herz also schlägt (Achtung: Wir sprechen hier nicht von krankhaften Herzrhythmusstörungen!), desto besser kann sich der Organismus an unterschiedlich intensive Belastungen anpassen.

Foto: Nils Flieshardt/spomedis

Nachteil dieser Messmethode: Viele Athleten nervt der Brustgurt. Man muss ihn anlegen, wenn es dumm läuft, rutscht er (vor allem beim Schwimmen), scheuert oder reizt die Haut. Immerhin sind viele Anbieter inzwischen weg vom starren Kunststoffbügel: Textile Gurte passen sich besser dem Athletenkörper an, sind geschmeidiger und reibungsärmer und es gibt mittlerweile zum Beispiel auch Sportbras, an die sich ein Pulssensor anklippen lässt, sodass der separate Gurt wegfällt.

So ermittelst du deinen Maximalpuls

Um deine individuellen Pulsbereiche zu bestimmen, ermittelst du deinen Maximalpuls (HFmax) und rechnest dann prozentual herunter. Da bei den drei Triathlondisziplinen die Belastung unterschiedlich und beim Laufen für gewöhnlich am höchsten ist, solltest du auch drei Tests machen, die aber ähnlich sind.

Beim Schwimmen kraulst du 3–4 x 100 m; 1. (und ggf. 2.) Intervall bei mittlerer bis hoher Intensität, 20 Sekunden Pause; 3. Intervall bei hoher bis sehr hoher Intensität, 30 Sekunden Pause; 4. Intervall Maximaltempo.

Beim Radfahren gelten die gleiche Intensitätspyramide und Pausenzeiten, allerdings fährst du hier 3–4 x 1 km. Beim Laufen rennst du 3–4 x 400 Meter mit steigender Belastung und Pausen von 20 und 30 Sekunden.

Nonplusultra oder nice to have?

Auch wenn es angesichts von Wattmessung, Drucksensoren und 3-D-animierten Indoor-Rad- und Lauftrainings wie aus der Zeit gefallen scheint, die Herzschläge pro Minute zu zählen: Dem ist nicht so. Schaut man sich Fotos von Jan Frodeno, Patrick Lange oder Maurice Clavel an, auf denen sie obenherum etwas luftiger unterwegs sind, entdeckt man fast immer einen Herzfrequenzgurt um ihren Brustkorb. Bei Ironman-Italy-Gewinner Cameron Wurf zeichnet er sich sogar im Wettkampf unter dem Racesuit ab.

„Die Herzfrequenz ist bei der Trainingssteuerung im Profibereich nach wie vor so wichtig wie früher“, bestätigt Dan Lorang. „Ich schaue mir bei meinen Athleten immer auch die Herzfrequenzauswertung an. Auch wenn die Trainingsvorgaben an meine Athleten meist über Pace oder Watt kommen, läuft die Herzfrequenz immer mit, alle meine Sportler trainieren mit Brustgurt, sodass ich die Daten mit in die Analyse nehmen kann. Vor allem, wenn wir in der Höhe sind, wird sehr stark nach Herzfrequenz trainiert. Da ist sie der beste Parameter, auch um gewisse Grenzen vorzugeben.“ Ähnlich sieht es Schwimmexpertin Petra Wolfram. Zwar sei das Schwimmtraining unter Einbezug der Herzfrequenz (auch) im Profibereich eine Philosophiefrage. Sie selbst arbeitet mit ihren Athleten aber gern damit, denn: „Es bringt in Ergänzung mit einem geschwindigkeitsgesteuerten Training die Individualität des Athleten und den Aspekt der Tagesform ein. Je höher das Niveau des Sportlers, desto wichtiger ist der Faktor Tagesform.“ Knapp 40 Prozent der gesamten Trainingsanalyse eines Profiathleten macht die Herzfrequenz in ihrer Auswertung aus. Sowohl im Hobby- als auch im Profibereich hat die Belastungssteuerung mittels Herzfrequenz also ihre Berechtigung, behauptet vielleicht sogar mittels neuer Technologien wie Schwimmbrillen mit Display im Glas nicht nur ihren Platz in der Triathlon- und Sportszene, sondern wird noch wichtiger werden. Dabei ist sie aber weder als einziger, noch als ultimativer Parameter zu sehen. Sondern als derjenige, der im Gefüge der Kontroll- und Steuerungsoptionen wiedergibt, was im Körper des Athleten passiert, und damit das Gesamtbild sinnvoll ergänzt.

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