Booster oder Bremse? Das bringt Nüchterntraining

Das Konzept des Nüchterntrainings ist nicht neu. Für viele Ausdauersportler gehört es zum wöchentlichen Pflichtprogramm. Wir erklären, was dahintersteckt und wieso es oft sogar besser ist, nicht mit leerem Magen zu trainieren.

Lange wurde es als einzig wahre Methode zur Verbesserung des Fettstoffwechsels und als eine echte Wunderwaffe zur Gewichts­reduktion angepriesen: das Nüchterntraining, also Sport am Morgen ohne vorherige Nahrungsaufnahme. Der Low-Carb-Trend befeuerte diese Annahmen und damit einhergehend teilweise eine regelrechte Angst vor Kohlen­hydraten. Mittlerweile gibt es beim Training auf leeren Magen eine andere Herangehensweise, da neben den durchaus positiven Effekten auch Risiken bekannt sind und bei falscher Durchführung die Performance und Gesundheit leiden können. Richtig angewendet kann Nüchterntraining (wenn man es denn noch so nennen will) jedoch ein sinnvolles Mittel sein, um einen gewünschten Trainingsreiz zu optimieren.

Was passiert bei leerem Tank?

Beginnen wir zunächst mit den physiologischen Grundlagen, die den Einsatz des Nüchterntrainings rechtfertigen sollen. Bei der Energiebereitstellung besteht immer ein Mischverhältnis aus Kohlenhydraten und Fetten, denn nur aus diesen beiden Makronährstoffen kann der Organismus Energie gewinnen. Proteine sind in diesem Zusammenhang nicht relevant, sie werden nur in absoluten Not­situationen verstoffwechselt, was es zu vermeiden gilt. Je nachdem, in welcher Stoffwechselsituation wir uns befinden, variiert der Anteil der Kohlen­hydrate und Fette. Der Kohlenhydratstoffwechsel ist die bevorzugte Energiebereitstellung des Körpers, da er besonders effizient abläuft und Kohlenhydrate, die in der Leber und als Glykogen in der Muskulatur gespeichert werden, schnell in Energie umgewandelt werden können. Wichtig ist das insbesondere bei intensiven Trainingseinheiten und im Wettkampf. Der erste Teil des Kohlenhydratstoffwechsels läuft ohne den Verbrauch von Sauerstoff ab und wird deshalb auch als anaerober Stoffwechsel bezeichnet. Als Zwischenprodukt fällt Laktat an. Es kann in weiteren Schritten wieder in Energie umgewandelt werden. Je höher die Aktivität des anaeroben Stoffwechsels ist, desto weniger Fette und mehr Kohlenhydrate werden zur Energiegewinnung herangezogen.

Der Fettstoffwechsel ist im Ausdauersport immer zu einem gewissen Teil aktiv. Eine entscheidende Rolle spielt er, wenn die Glykogenvorräte zur Neige gehen – das ist bei längeren Trainingseinheiten sowie bei Wettkämpfen ab der olympischen Distanz zwangsläufig der Fall. Die Energie kann über Fette zwar nicht so schnell bereitgestellt werden, allerdings für einen sehr langen Zeitraum. Anders als die Glykogenspeicher sind die Fettvorräte selbst bei austrainierten Athleten nahezu unerschöpflich. Der Fettstoffwechsel benötigt Sauerstoff und wird deshalb als aerober Stoffwechsel bezeichnet. Er findet in den Mitochondrien statt, den häufig zitierten „Kraftwerken der Zelle“. Ein ausgeprägter Fettstoffwechsel sorgt dafür, dass weniger Kohlenhydrate verbraucht und die Glykogenspeicher geschont werden. Im Wettkampf ist das ein großer Vorteil, da selbst kurz vor dem Ziel noch ausreichend Energie für intensive Belastungen vorhanden ist. Es ist für Ausdauersportler also auf jeden Fall sinnvoll, den Fettstoffwechsel zu trainieren – und genau das ist das Ziel des Nüchterntrainings. Es ist aber nur eine von mehreren Trainingsformen, die auf den gewünschten Effekt einzahlen. Nüchterntraining ist durchaus wirksam, die praktische Durchführung jedoch aus mehreren Gründen eingeschränkt – dazu später mehr.

Periodisierung der Kohlenhydrate

Bei der Optimierung des Fettstoffwechsels geht es nicht darum, einen leeren Magen zu haben, sondern einzig und allein um eine geringe Verfügbarkeit von Kohlenhydraten. Es ist also nicht notwendig, nüchtern die Laufschuhe zu schnüren oder aufs Rad zu steigen – wichtig ist nur, Kohlenhydrate sinnvoll einzusetzen oder eben zu reduzieren. Diese Periodisierung solltest du als Teil des Trainings verstehen, denn erst dadurch wird der gewünschte Effekt überhaupt erzielt. Im Wettkampf sind Kohlenhydrate wichtig und zwingend notwendig. Die Speicher­kapazität sowie die Aufnahmefähigkeit sind jedoch begrenzt. Wenn der Fettstoffwechsel optimal läuft, müssen weniger Kohlenhydrate extern zugeführt werden, was Magenbeschwerden vorbeugen kann. ­Insbesondere auf der Mittel- und Langdistanz ist das ein großer Vorteil.

Kommen wir nun zu den verschiedenen Möglichkeiten, wie der Fettstoffwechsel trainiert werden kann. Beim „echten“ Nüchterntraining, von dem wir hier schon die ganze Zeit reden, wird vorher nur Wasser, Kaffee oder Tee getrunken und keine Energie zugeführt. Solche Einheiten sollten insbesondere zu Saisonbeginn kurz gehalten werden und im Grundlagenbereich stattfinden. „Kurz“ heißt beim Laufen circa 30 und beim Radfahren circa 60 Minuten – beides kann im Trainingsverlauf gesteigert werden. Mehr Flexibilität hinsichtlich der Trainingsinhalte hast du, wenn du nicht vollständig auf Nahrung, sondern nur weitestgehend auf Kohlenhydrate verzichtest. Mit Proteinen und Fetten bleiben dir noch zwei Makronährstoffe, an denen du dich bedienen kannst und die den gewünschten Trainingsreiz nicht blockieren. Frühstücke beispielsweise eine Portion Quark mit Nüssen und Obst oder Rührei mit Gemüse und ­einem Stück Brot. Ein paar Kohlenhydrate sind an dieser Stelle nicht schlimm, denn „low carb“ bedeutet nicht „no carb“. Es sollten allerdings nicht mehr als 20 bis 30 Gramm sein. Mit einer solchen Mahlzeit stellst du sicher, dass du ausreichend mit Energie versorgt bist, und erzielst dabei den gleichen Effekt, wie es mit einem Nüchterntraining der Fall wäre. Der Vorteil dieser Variante ist, dass die Einheit ruhig etwas länger dauern kann. Gleichzeitig ist es möglich, das Training intensiver zu gestalten, beispielsweise mit ­G2-Intervallen. Wenn du schon Profi in Sachen Fettstoffwechsel bist, kannst du das Ganze noch auf die Spitze treiben. Absolviere abends eine intensive Einheit, mit der die zuvor gefüllten Kohlenhydrat­speicher bereits zum Teil geleert werden. Danach führst du Energie überwiegend in Form von Proteinen und Fetten zu und absolvierst am nächsten Morgen ohne vorherige Kohlenhy­dratzufuhr das nächste Training – nun betont locker. Der Einsatz von Koffein als „Booster“ ist umstritten und es gibt keine eindeutige Empfehlung. Der ­Effekt auf den Fettstoffwechsel ist jedenfalls nicht so groß, wie häufig angenommen. Wenn du nicht gern Kaffee trinkst, musst du vor dem Training also keinen doppelten Espresso runterwürgen. Alle vorgestellten Varianten der Kohlenhydratperiodisierung folgen dem gleichen Prinzip, nur eben in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Trainingsgestaltung. Als Triathlet hast du den Vorteil, dass du früher oder später im Saisonverlauf automatisch mit reduzierten Kohlenhydratspeichern trainieren wirst und dich daher nicht bereits jetzt zu viel vornehmen solltest. Bei langen Radausfahrten im Sommer, womöglich mit anschließendem Koppel­lauf, wird dein Fettstoffwechsel automatisch ordentlich angeregt – vorausgesetzt, du legst nicht alle paar Kilometer eine ­Kuchenpause ein.

Risiken und Regeln

Mit ein paar Grundsätzen kannst du die Periodisierung der Kohlenhydrate bestmöglich für das Training nutzen. Entgegen einer häufigen Annahme muss das Training nicht zwingend morgens absolviert werden. Dieser Tageszeitpunkt hat jedoch den großen Vorteil, dass die Zeit vor der Einheit in der Regel standardisiert abläuft: Du hast geschlafen, die Glykogenspeicher der Leber sind leer und die gesamten Kohlenhydratspeicher sind nach der Nacht noch etwa zur Hälfte gefüllt, sofern du keine ausschweifende Pasta Party gefeiert hast. Wird die Einheit hingegen abends nach einem Arbeitstag absolviert, hattest du vielleicht eine ähnlich lange Pause nach der letzten Mahlzeit. Doch die Belastungen des Alltags können dazu geführt haben, dass die Speicher leerer sind als gewünscht und das Training somit nicht entsprechend umgesetzt werden kann. Damit das nicht passiert, ist es zudem wichtig, dass zwar die Kohlenhydratmenge, nicht jedoch die insgesamt zugeführte Energie reduziert wird. Ein zu großes Energiedefizit, insbesondere in Verbindung mit einer Kohlenhydratreduktion, wirkt sich negativ auf das Immunsystem und den Hormon­haushalt aus. Du wirst anfälliger für Infekte und Verletzungen und machst nebenbei auch noch den Trainings­effekt zunichte. Unabhängig davon, für welche Variante der Kohlenhydratperiodisierung du dich entscheidest, solltest du dich langsam daran gewöhnen und diese Art des Trainings höchstens zweimal pro Woche durchführen. Beim Laufen solltest du nicht länger als 30 bis maximal 60 Minuten trainieren. Auf dem Rad dürfen es auch mal 90 Minuten sein, da der Energieverbrauch in der Regel geringer ist.

Ein weiterer Unterschied muss zwischen Athletinnen und Athleten gemacht werden. Frauen haben von Natur aus einen besseren Fettstoffwechsel als Männer und müssen daher keinen so großen Fokus auf ein kohlenhydratreduziertes Training legen. Gleichzeitig reagiert das Hormonsystem von Frauen deutlich sensibler und es kann beispielsweise zum Ausbleiben der Periode kommen, wenn zu oft, zu lange oder zu intensiv ohne Kohlenhydrate oder sogar nüchtern trainiert wird. Besonders in der zweiten Zyklus­hälfte ist Vorsicht geboten, da der weibliche Organismus hier noch stärker auf Stressfaktoren reagiert. Die Frage, zu welchem Saisonzeitpunkt eine Kohlenhy­drat­periodisierung am besten eingesetzt werden sollte, lässt sich leicht beantworten: jetzt. Die Anpassung des Fettstoffwechsels dauert mehrere Monate, daher solltest du frühzeitig mit gezielten Einheiten beginnen, die du langsam steigern ­kannst.

Ist der Hype um Nüchterntraining nun gerechtfertigt? Ja und nein. Es ist keinesfalls der ­Heilige Gral und nicht jeder Athlet reagiert ­positiv darauf. Richtig durchgeführt ist es eine von mehreren Möglichkeiten, dem Fettstoffwechsel den letzten Schliff zu verpassen und einen wirksamen Trainingsreiz zu setzen.

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