Calories in, Calories out: Wie entscheidend ist die Energiebilanz wirklich?

Wer viel trainiert, benötigt viel Energie. Dafür ist oft jedes Mittel recht. Wir erklären dir, wie diese Bilanz mit der Leistungsfähigkeit einhergeht und in welchen Fällen die gesunde Ernährung auch mal außer Acht gelassen werden kann.

Drei Weißmehlbrötchen mit Butter, Salami und Käse, dazu ein Glas Orangensaft und am Nachmittag Cola, Fanta und Schokoladenkekse. Das ist nicht unbedingt eine Lebensmittel­auswahl, die man einem Triathlonprofi und Ironman-Weltmeister zuordnen würde. Doch genauso sehen Teller und Gläser von Gustav Iden im ­Trainingslager teilweise aus. Möglicherweise ist dies begründet durch die ausbaufähige Auswahl der Location, vielleicht jedoch auch dadurch, dass sich der Norweger eine „performance-­orientierte“ Ernährung auf seine ganz eigene Art und Weise auslegt. Bei der Pressekonferenz nach dem Ironman Hawaii 2022 antwortet er auf die Frage, was sein liebstes Cheat Meal nach dem Rennen sei: „Ich habe keine Cheat Meals. Eingehende Kalorien gehen auch wieder raus, also ist alles Brennbare gut.“ Das klingt sehr simpel. Vor allem klingt es so, als könne man die Ernährungsregeln über Bord werfen. Doch ist es wirklich so einfach, dass letztendlich ausschließlich die Energiebilanz zählt?

Die Menge macht’s

Die klare Antwort lautet: Jein. Eine ausreichende Energiezufuhr ist für Sportler unabdingbar, wenn die Leistung im Trainingsprozess stimmen und die Formkurve in Richtung Wettkampf steil nach oben verlaufen soll. Die Mindestanforderung ist hierbei die sogenannte Energieverfügbarkeit. Dabei handelt es sich um die erforderliche Menge an Kilokalorien, die notwendig ist, um hormonelle Funktionen, das Immunsystem, den Knochenstoffwechsel sowie bei Frauen den Menstruations­zyklus gesund zu erhalten. Als tägliches Mindestmaß gelten 30 bis 40 Kilokalorien pro Kilogramm fettfreier Körpermasse. Dies gilt selbstverständlich nach Abzug der im Training umgesetzten Energie.

Ist die Energieverfügbarkeit mittel- und langfristig nicht sichergestellt, können nicht nur Leistungseinbußen, sondern auch gesundheitliche Probleme die Folge sein. Das Risiko für Verletzungen, insbesondere Ermüdungsbrüche, steigt ebenso wie die Infektanfälligkeit. Bei Frauen ist das Ausbleiben der Periode bereits ein Indiz dafür, dass mit der Versorgung etwas nicht stimmt. Energie­verfügbarkeit ist übrigens nicht gleichbedeutend mit dem Ruheumsatz, sondern liegt darüber. Ebenso bedeutet eine sichergestellte Energieverfügbarkeit nicht, dass die gesamte Energiebilanz ausgeglichen ist. Ein Kaloriendefizit, und ein damit verbundener Gewichtsverlust, ist problemlos möglich, sollte dies dein Ziel sein. Abgesehen von der Energiemenge spielt auch deren Zusammensetzung für Sportler eine Rolle. Die wichtigsten Energieträger sind die Makronährstoffe Fette und Kohlenhydrate. Letztere können nur sehr begrenzt in der Leber und der Muskulatur gespeichert werden, sind für die Leistungsfähigkeit jedoch zwingend notwendig und müssen daher über die Nahrung zugeführt werden. Die körpereigenen Fettspeicher sind dagegen nahezu unerschöpflich. Ein Kilogramm reines Fett enthält 9.000 Kilokalorien, ein Kilogramm Körperfett rund 7.000 Kilokalorien – selbst einem Athleten mit 70 Kilogramm Körpergewicht und zehn Prozent Körperfett stehen also fast 50.000 Kilokalorien aus Fett zur Verfügung.

Nahrungsqualität

„Natürlich kann man verlorene Energie mit Pizza, Schokolade und Gummibärchen auffüllen. Die Frage ist nur, wie gesund das ist“, sagt die Ernährungsexpertin ­und Geschäftsführerin von NFT-Sport Caroline Rauscher. Dies sei unproblematisch, wenn derartige Lebensmittel zum gezielten ­Carboloading vor dem Wettkampf ein­gesetzt würden. „Wenn man das fünfmal pro Woche macht, sieht die Sache schon anders aus.“ Diese Aussage dürfte keine Überraschung sein. Doch gibt es ­Szenarien, bei denen sogenanntes Junkfood sogar ­notwendig sein kann? „Wenn die Alternative ist, nach dem Training oder zwischen zwei Einheiten gar nichts zu essen, würde ich eher zu vermeintlich schlechten Lebensmitteln mit hoher Kaloriendichte greifen, um den Energiebedarf zu decken“, sagt Dr. Karsten Köhler, Professor für Sport und Gesundheitswissenschaften an der TU München. Dies sollte selbst­verständlich eher die Ausnahme als die Regel sein. Ab­gesehen von einer ­akuten Carboloading-Phase, die nur wenige Tage dauert, solltest du in deiner alltäglichen Ernährung vorwiegend auf komplexe ­Kohlenhydrate setzen, die du etwa in Vollkorngetreide findest. Sie versorgen dich über mehrere Stunden mit Energie, ohne dass du in das vermutlich bekannte Fresskoma fällst.

„Bei der regelmäßigen Zufuhr von einfachen Kohlenhydraten beziehungsweise Zucker ist das endokrine System irgendwann überfordert, weil es ständig mit ­Insulin befeuert wird“, erklärt Caroline Rauscher. Bei Fetten ist ebenfalls die Qualität entscheidend, damit sie einen gesundheitlichen Nutzen haben. Transfette (gehärtete Fette) oder gesättigte Fettsäuren aus vorwiegend tierischen ­Lebensmitteln und Fertigprodukten haben diesen Nutzen nicht. Ganz im Gegenteil, sie fördern Entzündungen, erhöhen das Risiko für ­Arteriosklerose, kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Diabetes und beschleunigen den Alterungsprozess. Sportler tun eine Menge, um den genannten Faktoren entgegenzuwirken, und aus energetischer Sicht können sie sich die eine oder andere vermeintliche Sünde erlauben, ohne gleich eine Gewichtszunahme befürchten zu müssen. Doch der Spruch „Du bist, was du isst“ zeigt hier seinen wahren Kern – schließlich geht es bei einer angepassten Ernährung nicht nur um das individuelle Wohlfühlgewicht, sondern um Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Damit das gelingt, muss Energie nicht nur in ausreichender Menge in den Tank, sondern auch in einer vernünftigen Zusammensetzung.

Passender Treibstoff

Skizziere einmal einen typischen Trainingstag einige Wochen vor deinem Saisonhighlight. Vielleicht beginnt der Tag mit einem längeren Lauf, später sitzt du noch mehrere Stunden auf dem Rad – da kommt einiges zusammen an verbrauchter Energie. „An solchen Tagen sollte man unbedingt da­rauf achten, bereits während der Belastung ­adäquat Kohlenhydrate zuzuführen, um das Energiedefizit so gering wie möglich zu halten“, rät Caroline Rauscher. Auch für die erwünschte Anpassung an den Trainingsreiz sei die Verpflegung entscheidend.

Wenn du dich während der Trainingseinheiten ausreichend versorgst, sei es möglich, den Kohlenhydrat- und Energiebedarf der Basis­ernährung aus vollwertigen Quellen sicherzustellen. Auf Nummer sicher gehst du, wenn du deine gewohnte Verpflegung im Training „an Bord“ hast. Dabei handelt es sich vermutlich nicht um Vollkornbrot, denn während der Belastung sind ohnehin ein­fache Kohlenhydrate das Mittel der Wahl, da sie dort geringere Blutzuckerspitzen auslösen als im Alltag. Zudem wird der Magen-Darm-Trakt weniger belastet. Natürlich ist auch eine Pause im Café mit einem ­Cappuccino und einem Stück Kuchen erlaubt. „Das hat schließlich etwas mit ­Lebensqualität zu tun, und dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden“, so Caroline ­Rauscher. Eine Cola und ein Schoko­riegel an der Tankstelle sind dagegen selten ein Zeichen von Lebensqualität, sondern ein Notfall und der Versuch, den Hungerast im Zaum zu halten. „Es ist besser als nichts, doch Heißhunger ist ein ­sicheres Zeichen, dass ver­pflegungstechnisch ­vorher bereits etwas schiefgelaufen ist“, sagt Karsten ­Köhler. Das gilt ebenso für die Zeit unmittelbar nach dem Training, denn „wir treffen selten gute Entscheidungen, wenn wir sehr hungrig und die Kohlenhydratspeicher leer sind“, so Köhler. Eine Situation, mit der vermutlich jeder schon einmal Bekanntschaft gemacht hat, der mit knurrendem Magen einen ­Supermarkt betreten hat. Vorbereitung ist hier das A und O.

Um deine Glykogenspeicher schnell aufzufüllen, benötigst du Kohlenhydrate und Proteine. Dafür ist zunächst ein Snack ausreichend, wenn die Zeit knapp ist. Ein Milchshake mit Kakaopulver oder pürierter Banane, eine Portion Grießbrei oder ein Müsli sind in wenigen Minuten zubereitet und können bei Bedarf wunderbar in der Sporttasche mitgenommen werden – beispielsweise für den Weg vom Schwimmtraining zur Arbeit. Es geht nicht darum, in der Ernährung alles perfekt zu machen oder dass der eingangs beschriebene Ausschnitt der Weltmeisternahrung ein absolutes ­No-Go wäre. Am Ende des Tages muss ausreichend Energie zur Verfügung stehen, um hohe Trainingsumfänge realisieren zu können, und Sportler können hier definitiv mehr kompensieren als Couch-Potatoes. In puncto langfristiger Gesundheit und Leistungsfähigkeit lässt sich jedoch nicht an der Tatsache rütteln, dass klassisches Junkfood diesen Aspekten nicht zuträglich ist, das gilt sowohl für Profis als auch für Agegrouper. Wenn du mit dem richtigen und nahrhaften Treibstoff nicht sparsam umgehst, sinkt dein Appetit auf schnelle Kalorien­bomben vermutlich von allein. Und wenn du dir diese nicht auf täglicher Basis genehmigst, um dich zu „belohnen“, ­schmecken sie besser und fügen sich auch harmonisch in das Bild einer ausbalancierten Ernährung für ­Triathleten ein.

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