Carbonreparatur: Das könnt ihr bei Schäden am Rahmen tun
Carbon ist seit Jahren das Material der Wahl, wenn es um schnelle Fahrräder geht. Nur damit kann man gleichzeitig aerodynamisch, leicht und steif bauen. Die Hersteller reizen hierbei alles an Know-how aus, meist aus Fernost. Denn nur dort ist das sehr arbeitsintensive und in Handarbeit erfolgende Lay-up der Fasermatten einigermaßen erschwinglich, auch wenn in den letzten Jahren eine wahre Preisexplosion stattgefunden hat. Was im Gegenzug immer geringer wurde, ist das Gewicht von Rahmen und Teilen. Mehr als ein Hauch Wandstärke ist es oft nicht mehr.
Der Kunde hält damit ein Stück Hightech in der Hand, das zumindest durch den normalen Gebrauch in Training und Wettkampf kaum noch ans Limit zu bringen ist. Eigentlich ein Wunder bei der minimalen Wandstärke. Ganz anders sieht es aus, wenn eine nicht sachgerechte Belastung ins Spiel kommt, etwa ein Sturz. Da liegen dann mit lautem Knall schnell ein paar Tausend Euro Schrott auf dem Asphalt. Oft reichen schon deutlich kleinere Schnitzer, etwa wenn die weiche Radtasche im Flieger nachgibt und der Rahmen den Kürzeren zieht. Oder ein simpler Umfaller, bei dem der Lenker gegen das Oberrohr schlägt und es knackt. Und manchmal fällt es einem wie Schuppen von den Augen, wie filigran der Faserverbund wirklich ist. Etwa wenn das Oberrohr zwar aerodynamisch optimiert und der Rahmen unter tausend Gramm wiegt, aber eben nicht dafür ausgelegt ist, dass man sich am Trainingstreffpunkt beim Warten draufsetzt, wie man das jahrelang gewohnt war. Um dann beim Losfahren einen Riss vorzufinden. Oft ist der Schreck erst einmal riesig und man fragt sich, ob Carbon wirklich der Weisheit letzter Schluss ist – und vor allem, wo man jetzt Ersatz kriegt. Das Beste, was man von den Herstellern in solchen Fällen bekommt, ist meist so etwas wie ein Crash Replacement zu einem reduzierten Kurs. Aber auch da geht es um vierstellige Beträge, ganz abgesehen von der aktuell schlechten Verfügbarkeit von Radteilen und Rädern.
Die gute Nachricht an dieser Stelle lautet: So anfällig die Kombination aus unterschiedlich ausgerichteten Carbonmatten und dem Harz, das diese zusammenhält, auch ist, es gibt oft einen Weg, das gute Stück vor der Entsorgung als Sondermüll zu retten. Es gibt nämlich auch im deutschsprachigen Raum ein paar Experten, die mit viel Know-how und Fingerspitzengefühl selbst größere Risse und Brüche wieder so reparieren können, dass man damit weiterfahren kann. Und wenn es richtig gemacht wird, inklusive Schmirgeln, Spachteln und Lackieren, dann sieht man hinterher nicht einmal mehr, dass der Rahmen kurz vor dem Exitus stand.Interessanterweise bricht ein Carbonrahmen in den meisten Fällen nie komplett durch, sondern das Geflecht reißt nur an. Dann erinnert eine Reparatur an das Flicken eines Schlauchs, nur eben mit einer Schicht Carbonmatten.
So schnell kann das gehen
Ich habe das kürzlich am eigenen Leib erfahren. Konkret ging es um eine gebrochene Sitzstrebe bei einem Gravelbike von Open. So schnell wie der Stock in Schaltwerk und Speichen kam, dann alles gesammelt abriss und sich mit dem Rahmen verkantete, konnte ich gar nicht gucken. Beim Anblick des Risses in der Sitzstrebe schossen mir mitten im Wald die Tränen in die Augen.
Hilfe war jedoch in Sicht, denn weil man solche Ereignisse heute ja auf Instagram postet, ploppten relativ schnell Nachrichten auf, dass da noch nicht alles verloren sei. Eine kurze Anfrage beim Hersteller sorgte schließlich für erste Erleichterung: So könne man vermutlich retten.
Weil der die meisten Empfehlungen hatte, ging der Rahmen dann zu Falk Schlosser von Carbon Bike Repairs aus Chemnitz. Schlosser ist seit 40 Jahren im Radrennsport zu Hause und hat sich unter anderem in der Luftfahrtindustrie das Wissen für seine Reparaturen angeeignet. Wohl nicht ganz unwichtig: Als ehemaligen DDR-Rennfahrer ist ihm eine Wegwerfmentalität eher fremd. Und da der Rahmen zusätzlich zum Crash an ein paar anderen Ecken deutliche und tiefe Scheuerspuren aufwies, wurde an insgesamt vier Stellen repariert. Wichtig: Man sollte vorher immer mit Detailbildern und einer Beschreibung, was genau passiert ist, abklären, ob das Objekt zu retten ist und was dies kosten würde. Sicherheitsrelevante Teile wie Lenker werden nämlich komplett abgelehnt. Schließlich geht die Haftung nach der Behandlung in die Hände des Reparateurs über. Und weil Operationen eines Carbondoktors erst ab gut 200 Euro losgehen, lohnen diese bei kleinen Teilen nicht.
Was ist Carbon?
Ein Faserverbundwerkstoff. Das beim Rad verwendete Material ist ein Verbund aus verschiedenen Lagen von Carbonfasermatten und Harz, dass diese durchdringt und miteinander verbindet. Je nach Ausrichtung ist das unidirektional oder wie hier überlappend, was erst zu einer Art Netzstruktur führt.
Der Reparaturprozess
Im Detail verläuft die Reparatur folgendermaßen: Die beschädigten Stellen werden geschliffen und gereinigt. Als nächster Schritt wird mit Epoxidharz als Träger für alle nötigen Kohlefaserlagen „vorgeharzt“. Je nachdem wo sich der Schaden befindet, können das bis zu fünf Lagen sein, die im Nasslaminierverfahren mit weiterem Epoxidharz aufgetragen werden. Nach dem Aushärten wird der reparierte Bereich erneut geschliffen und geht dann zum Lackierer.
Die Kosten sind individuell, bei mir unter 500 Euro inklusive Lackierung im Originalfarbton der betroffenen Stellen. Erfreulich bei kompliziert innen verlegten Zügen und Leitungen: Sie können im Rahmen bleiben. Natürlich ist das komplette Prozedere aufwendig und kein Schnäppchen. Aber gemessen an einem Totalschaden und vor dem Hintergrund, dass Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle spielt, kann eine Reparatur die Lösung sein. An meinem Gravelrahmen findet man nun bei genauem Hinsehen die betroffenen Stellen nicht mehr.
Und das hält?
Wer einen modernen leichten Rahmen mal an den dünnwandigen Stellen genauer anschaut, der wird feststellen, dass man schon mit zwei Fingern und leichtem Druck einen Flex erzeugen kann. Das liegt daran, dass meist nur unidirektionales Carbon verbaut ist, und davon eben gerade so viel und in jener Ausrichtung, wie es der Rahmen gegen Verwindung und für gute Kraftübertragung benötigt. Wird hier nun eine Bruchstelle repariert, dann ist dieser Bereich zwar etwas schwerer – Schlosser spricht von 50 bis maximal 150 Gramm ohne Lack. Aber das Rohr ist auch deutlich stabiler. Anders gesagt: Brechen wird an dieser Stelle fortan nichts mehr. Wer selbst einen Knochenbruch hinter sich hat, der mit einer Platte fixiert wurde, kennt das: Wenn es noch einmal bricht, dann „nur noch“ daneben.
Und was ist mit den Laufrädern?
Da neben dem Rahmen besonders die Laufräder mächtig ins Geld gehen, lohnt auch hier der Blick auf die Rettungsoptionen. Spezialisiert hat sich ein Anbieter aus Spanien, der im Cross-Sport zu Hause ist, wo kapitale Materialschäden dazugehören. Hier geht leichtes und teures Material schnell zu Bruch. Cástor Gonzáles Luis vom Lightwheels Repair Service aus Asturien repariert sogar Laufräder, die selbst die größten Optimisten aufgegeben haben. Auch und gerade Hochprofillaufräder, bei denen Nabe, Speichen und Felge wie aus einem Guss erscheinen, etwa von Lightweight oder Corima, werden hier wieder fahrbereit gemacht. Eine weitere Dienstleistung: Der Spanier zentriert diese Laufräder, von denen es oft heißt, sie würden erstens nie unrund laufen und zweitens wäre dann ohnehin alles zu spät, eben weil man das nicht reparieren könne. Neben dem Einsatz von teurem Carbon im Gelände kann Cástor Gonzáles Luis auf die Erfahrung von zwanzig Jahren im Bereich Surfen zurückgreifen. Dort wird schon wesentlich länger laminiert als am Rad. Wer seinen Service sucht, wird allerdings nur via Instagram und englischsprachig fündig.
Das sagen die Hersteller
Zumindest hinter vorgehaltener Hand haben die Firmen, mit denen wir gesprochen haben, die Option einer Reparatur über Drittanbieter abgesegnet. Allerdings mit dem Vorbehalt, dann nicht mehr für das Produkt verantwortlich zu sein, wenn etwas versagt. Scott etwa gibt sogar eine Liste mit Ansprechpartnern heraus, wenn der Kunde durch eigenes Verschulden die Garantie ausgeschlossen hat.
Fakt ist: Jeder Hersteller verkauft am liebsten neues Material, wenn etwas beschädigt ist. Und die Garantie erlischt ohnehin, wenn der Kunde aus Eigenverschulden etwas zerstört. Aber mit schnellem Ersatz ist es heutzutage so eine Sache. Wer etwa einen Rahmen für Felgenbremsen demoliert hat, der wird mit einem Ersatzrahmen für Scheibenbremsen eher wenig anfangen können, es sei denn, er hatte eh gerade vor, neue Teile zu kaufen. Wobei dann eine komplette Neuanschaffung schon wieder günstiger wäre, Crash Replacement hin oder her. Für die meisten Reparaturen gibt es den Segen der Firmenvertreter. Denn fast immer sitzen dort passionierte Radfahrer in diesen Jobs, die, bevor sie in die Industrie gegangen sind, jeweils kleine Vermögen für Material ausgegeben haben. Diese Menschen fühlen mit, wenn ein Sportler weinend vor seinem zerstörten Fahrrad steht.
Thema Haftung
Wendet man sich mit einem gebrochenen Rahmen zur Reparatur an einen kommerziellen Anbieter, so geht die Haftung danach an ihn über. Die Garantie seitens des Herstellers ist damit hinfällig. Qualitätskriterium aus unserer Sicht: Wenn dieser gewisse Reparaturen bewusst ablehnt, auch wenn das Material dann nur noch Schrott ist.
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