Der Taktgeber für Athletinnen: Anpassung des Trainings an den weiblichen Zyklus
Frauen sind für Höchstleistungen geschaffen, so viel steht fest – im Alltag und im Sport. In der Trainingssteuerung rückt der weibliche Zyklus zunehmend in den Fokus. Wir erklären, wie Athletinnen ihr Training daran anpassen können und mit einem besseren Körpergefühl ihr Potenzial optimal nutzen.
Eine geringere Intensität, weniger Umfang, penibel auf die Ernährung achten, um auf jeden Fall das tiefstmögliche Wettkampfgewicht zu erreichen und auch optisch mit der Konkurrenz mithalten zu können. Ach, und bloß kein Krafttraining mit schweren Gewichten, zu muskulös will man ja auch nicht werden. All diese Dinge sind nicht damit gemeint, wenn es um frauenspezifisches Training im Ausdauersport geht. Grundsätzlich können Frauen die gleichen Trainingsinhalte wie Männer absolvieren und ein hohes Volumen tolerieren. „Frauen haben von Natur aus einen besseren Fettstoffwechsel als Männer. Durch ein hochvoluminöses Training können sie diesen sogar noch einmal steigern“, sagt die Sportwissenschaftlerin und Trainerin Laura-Sophie Usinger. Doch das ist nicht alles. Um ihr Potenzial bestmöglich zu nutzen und sich biologische Unterschiede zunutze zu machen, sollten Athletinnen ein besonderes Augenmerk auf die wohl relevanteste Besonderheit des weiblichen Körpers legen.
28 Tage Achterbahnfahrt
Die Rede ist vom Menstruationszyklus. Jeden Monat unterliegt eine Frau im gebärfähigen Alter hormonellen Schwankungen, die es bei Männern so nicht gibt. Die wichtigsten Steuergrößen sind die Hormone Östrogen und Progesteron. Ihre exakte Konzentration variiert von Tag zu Tag. Sie werden wiederum von zwei Hormonen gesteuert: dem follikelstimulierenden (FSH) und dem luteinisierenden Hormon (LH), das für die Ausprägung des Gelbkörpers aus dem Follikel verantwortlich ist. Der Vorgang wird vom Hypothalamus, einem Teil des Zwischenhirns, angestoßen. Die Freisetzung der Hormone erfolgt schließlich in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse). Der Zyklus dauert durchschnittlich 28 Tage, kann jedoch zwischen 25 und 35 Tagen schwanken.
Man kann dabei fünf Phasen unterscheiden. Ein Zyklus beginnt mit dem ersten Tag der Periode und der frühen Follikelphase. Während dieser Zeit von etwa vier bis fünf Tagen sind Östrogen und Progesteron auf einem sehr niedrigen Niveau. Diese Zeit erlebt jede Frau anders. Aufgrund der insgesamt niedrigen Hormonkonzentration ist jedoch im Hinblick auf das Training kaum mit Einschränkungen zu rechnen.
Nach der Periode steigt das Östrogen bis zum Eisprung kontinuierlich an – das Training macht jetzt besonders viel Spaß. „Die späte Follikelphase ist die Zeit, in der Frauen bezüglich hochintensiver Reize am leistungsfähigsten sind, weil das Östrogen anabole Wirkungen auf den Stoffwechsel hat – wie das Testosteron bei Männern. Das bedeutet, dass jetzt besonders gut Muskulatur aufgebaut werden kann“, sagt Usinger. Kurz vor dem Eisprung erreicht das Östrogen seinen höchsten Wert und beginnt dann wieder zu sinken. LH und FSH steigen derweil sprunghaft an. Die positiven Effekte der vorangegangenen Phase verstärken sich. Es folgt die Lutealphase, während der die Hülle der unbefruchteten Eizelle (Follikel) in den Gelbkörper umgewandelt wird. Dieser produziert wieder Östrogen und Progesteron, von letzterem allerdings deutlich mehr. „Das Progesteron hat sozusagen die entgegengesetzte Wirkung des Östrogens, es wirkt katabol. Dadurch wird der Proteinstoffwechsel gehemmt, man ist weniger leistungsfähig und die Regenerationszeiten verlängern sich“, erklärt die Sportwissenschaftlerin. Diese Phase ist demnach nicht der beste Zeitpunkt für intensive Trainingsreize. Die Glykogenspeicher sind reduziert, während das Stresshormon Cortisol vermehrt ausgeschüttet wird. Hartes Training und eine ungenügende Erholung verstärken diesen Effekt. Die genauen Auswirkungen auf den Stoffwechsel seien von der Forschung noch nicht eindeutig benannt, so Usinger. „In erster Linie hängt das davon ab, welches Verhältnis zwischen Progesteron und Östrogen besteht und wie viel eine Frau von welchem Hormon wirklich produziert. Als Trainerin gehe ich individuell auf die Athletin ein, wie sie sich zum jeweiligen Zeitpunkt fühlt“, sagt sie. Für Sportlerinnen sei es deshalb wichtig, sich überhaupt mit dem eigenen Zyklus zu beschäftigen sowie ein Bewusstsein für Schwankungen in der Stimmung und Leistungsbereitschaft zu schaffen.
Wichtig ist, dass all diese Besonderheiten der einzelnen Phasen mit ihren hormonellen Schwankungen nur für einen natürlich funktionierenden Zyklus gelten. Unter Einfluss der Pille ist diese Voraussetzung nicht gegeben: Es findet kein Eisprung statt und die körpereigene Hormonproduktion wird gehemmt. Ihre Konzentration wird durch synthetische Hormone gesteuert. Je nach Präparat funktioniert dieser Mechanismus unabhängig von äußeren Einflüssen, die normalerweise ein Ausbleiben der Periode zur Folge hätten. „Sicherlich gibt es gute Gründe für die Pille, die man mit dem Gynäkologen abklären sollte. Am leistungsfähigsten sind Frauen jedoch mit einem intakten Zyklus“, sagt Laura-Sophie Usinger.
Signale erkennen und deuten
Diese Erkenntnis setzt sich sowohl bei Coaches als auch bei Sportlerinnen immer mehr durch. Anne Reischmann ist eine von ihnen. Die Profiathletin ist seit ihrer Kindheit im Leistungssport aktiv – zunächst in der Leichtathletik, seit einigen Jahren im Triathlon. „Wie viele junge Frauen habe ich angefangen, die Pille zu nehmen. Über die Nebenwirkungen und darüber, dass man gar keinen Zyklus hat, habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich wurde aber auch von meiner Frauenärztin nicht darüber aufgeklärt“, erzählt sie. „Je älter ich wurde, desto mehr habe ich das Ganze hinterfragt und ein ungutes Gefühl hat sich eingestellt. Da ich aber nicht wusste, wie sich das Absetzen vielleicht negativ auf meine Leistung auswirken würde, habe ich das noch verdrängt“, sagt Reischmann. Im Jahr 2019, dem ersten Jahr als Profi, habe sie dann gemerkt, wie sehr ein ambitioniertes Training am Körper zehrt. „Ich habe während der Saison fünf Kilogramm abgenommen und trotz Pille kein einziges Mal meine Periode bekommen“, sagt sie. Ein Alarmzeichen, denn unter Einnahme der Pille bleibt die Regelblutung auch während einer Unterversorgung normalerweise nicht aus. Die Coronakrise sei dann letztlich der richtige Zeitpunkt gewesen, etwas zu ändern. „Ich habe von heute auf morgen die Pille abgesetzt und konnte meinem Körper durch die fehlenden Wettkämpfe auch die Zeit und Ruhe geben, sich auf die neue Situation einzustellen“, berichtet Anne Reischmann. „Als dann eigentlich direkt wieder alles funktioniert hat, habe ich mich riesig gefreut. Seitdem trage ich meine Periode auch immer als Event in meine Trainingssoftware ein“, erzählt sie. Das sicherste Zeichen für einen funktionierenden Zyklus ist einerseits eine regelmäßige Monatsblutung, andererseits (und das ist das noch wichtigere Merkmal) der Eisprung. Nur dann kann man davon ausgehen, dass alle Hormone in ausreichender Konzentration vorhanden sind, sodass das Training daran angepasst werden kann. Ob ein Eisprung stattgefunden hat, kann man mit einfachen Mitteln relativ verlässlich selbst bestimmen. Die gängigste Methode ist das Beobachten der Basaltemperatur, also der morgendlichen Körpertemperatur. Gemessen wird möglichst immer zur gleichen Uhrzeit an der gleichen Körperstelle, am besten direkt nach dem Aufwachen mit einem digitalen Thermometer, das zwei Nachkommastellen anzeigen sollte. Wichtig ist, dass man mindestens sechs Stunden geschlafen hat, da sich die Schlafdauer auf die Körpertemperatur auswirken kann. Im Normalfall liegt die Temperatur vor dem Eisprung bei 36,5 bis 36,8 Grad Celsius. Kurz danach steigt sie sprunghaft und deutlich um etwa 0,5 Grad an. Wenn die Messungen als Kurve dokumentiert werden, ist der Anstieg am besten sichtbar.
Auch Anne Reischmann hat begonnen, ihren Körper genauer zu beobachten. „Ich tracke die Temperatur, mein Gewicht und meine Stimmungslage und trage das in eine App ein. Ich finde das extrem spannend, mittlerweile ist es ein kleines Hobby geworden. Im Training habe ich ein viel besseres Körpergefühl und breche eine Einheit vielleicht auch mal ab, wenn ich weiß, dass gerade andere Dinge wichtiger sind“, erzählt sie. Mit ihrem Trainer Reto Brändli spricht sie offen über die Thematik und steht im täglichen Austausch. „Als unsere Zusammenarbeit begonnen hat, war das eines der ersten Dinge, die er angesprochen hat. Das finde ich sehr gut, denn eigentlich ist das Thema genauso wichtig wie die Ernährung oder das Material“, sagt sie. Ihr Training wird grob an den Zyklus angepasst. Da es aber noch zu Unregelmäßigkeiten kommt, übernimmt sie die Feinabstimmung nach Rücksprache eigenverantwortlich. „Man muss sich natürlich auch mal durchbeißen. Ich kann mittlerweile aber einschätzen, ob ich einfach keine Lust habe oder wirklich mehr Erholung brauche“, sagt sie. Sie ermutigt alle Athletinnen, sich diese Ruhephasen ohne schlechtes Gewissen einzugestehen. „Ich reduziere lieber bei einer Einheit die Intensität oder lasse sie sogar ausfallen, als dass ich mich danach vielleicht viel länger erholen und ganz auf das Training verzichten muss.“
Aus dem Gleichgewicht
Ein regelmäßiger Zyklus ist für Frauen ein guter Indikator dafür, dass gesundheitlich alles in Ordnung ist und somit die sportliche Leistungsfähigkeit optimal ausgebildet werden kann. Eine ausbleibende Periode sollte dagegen als Warnzeichen ernst genommen werden. Das Hormonsystem reagiert sehr empfindlich auf verschiedene Einflüsse. Stress in jeglicher Form gehört dazu und insbesondere Agegrouperinnen sind neben dem Training vielen weiteren Stressfaktoren ausgesetzt. Alltag, Beruf und das soziale Umfeld wollen unter einen Hut gebracht werden. Doch das zentrale Problem für den Hormonhaushalt scheint ein anderes zu sein. Professor Dr. Karsten Köhler von der TU München ist Experte auf diesem Gebiet. Er erforscht insbesondere den Zusammenhang zwischen Energieverfügbarkeit und hormoneller Gesundheit. „In der Wissenschaft ist man sich mittlerweile einig, dass es nicht das spezifische Training ist, das sich negativ auf die Hormone auswirkt, sondern die Versorgung. Das bedeutet, dass man durchaus ein hohes Pensum tolerieren kann, wenn man ausreichend Energie zuführt“, erklärt Köhler. Ausreichend bedeutet, dass der Energiebedarf des Trainings zusätzlich gedeckt werden muss. „Wenn während einer längeren Einheit 1.000 Kilokalorien umgesetzt werden, dann sind die weg. Was dann noch übrig bleibt, muss für alle anderen Funktionen des Körpers aufgewendet werden“, sagt der Wissenschaftler. Die Reproduktionsfähigkeit sei einer der ersten Mechanismen, die bei einem Mangel unterdrückt werden, um Energie zu sparen. Bei einer ausbleibenden Periode über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten müssen insbesondere Sportlerinnen mit drastischen negativen Konsequenzen rechnen, die auch erst Monate oder sogar Jahre später auftreten können.
„Östrogen wirkt sich stark auf den Knochenstoffwechsel aus. Wenn über längere Zeit ein Mangel besteht, drohen Ermüdungsbrüche, weil sich die Knochendichte reduziert“, sagt er. Der Zusammenhang zwischen geringer Energieverfügbarkeit, Hormonhaushalt und Knochengesundheit wird als „Relative Energy Deficiency in Sport“ oder kurz „RED-S“ bezeichnet. Bei Männern ist dieses Phänomen übrigens ebenso zu beobachten, jedoch weniger offensichtlich, da die Periode als Indikator wegfällt.
Die Lösung für das Problem ist laut Dr. Karsten Köhler relativ einfach: mehr essen und dem Körper die benötigten Baustoffe zur Verfügung stellen. Doch wie viel ist genug? „Die Energie, die nach dem Training noch übrig bleibt, sollte bei mindestens 30, besser 45 Kilokalorien pro Kilogramm fettfreier Masse liegen“, sagt Köhler. Das heißt: Eine Frau, die 60 Kilogramm wiegt und einen Körperfettanteil von 20 Prozent hat, sollte pro Tag gut 2.000 Kilokalorien zuführen – plus die Energiemenge, die durch das Training umgesetzt wurde. Wer es schafft, sich adäquat zu versorgen, kann also nicht nur im Training viel leisten, sondern auch sicherstellen, dass der Zyklus unterstützend dabei wirkt. Für Athletinnen ist er ein wertvolles Instrument, die eigene Gesundheit im Blick zu behalten und nicht gegen, sondern mit dem Körper zu arbeiten.
Facts
- Ein natürlicher Zyklus gibt Frauen Aufschluss darüber, ob die hormonelle Gesundheit gegeben ist. Wichtig für Sportlerinnen ist, dass die beteiligten Hormone die Leistung unterschiedlich beeinflussen und zum Trainingserfolg beitragen können.
- In der Zeit vor dem Eisprung sind Frauen am leistungsfähigsten. Die morgendliche Körpertemperatur gibt langfristig Aufschluss darüber, in welcher Zyklusphase man sich befindet.
- Der Hormonhaushalt und somit auch die Verletzungsanfälligkeit werden maßgeblich von der Ernährung beeinflusst. Athletinnen können ein hohes Pensum tolerieren, sollten dabei jedoch stets auf eine ausgeglichene Energiebilanz achten.
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