Eat your Greens: So gelingt der Umstieg auf eine vegane Ernährung
Die vegane Ernährung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wird auch in Athletenkreisen immer beliebter. Wir erklären, welche Vorteile sie für Sportler bringen kann, worauf man achten muss und wie du den Umstieg gestalten kannst, wenn du zum „Pflanzenfresser“ werden willst.
Ernährungstrends kommen und gehen, häufig werden sie nur müde belächelt, gelten als heiliger Gral oder Gesundheitsgefahr. Im Alltag sind viele kaum praktikabel – vor allem nicht in dem eines Sportlers. Die vegane Ernährung kann definitiv als Trend bezeichnet werden, jedoch nicht als einer, der schnell wieder abgeflaut ist. Veganismus hat vielmehr einen Wandel vollzogen, vom verstaubten Reformhaus-Image zum hippen Lifestyle, der sich besonders in Großstädten bemerkbar macht und nichts mehr mit Latzhosen und Wollsocken in Sandalen zu tun hat. Die Anzahl der vegan lebenden Menschen in Deutschland hat sich seit 2016 mehr als verdoppelt und lag im Jahr 2023 bei rund 1,5 Millionen, Tendenz steigend. Auch unter Sportlern, sowohl im Hobby- als auch im Profibereich, findet die Ernährungsform immer mehr Anklang. Gründe dafür gibt es viele, seien sie gesundheitlicher, ethischer oder umweltpolitischer Natur. Die zwei letzten Aspekte sollen im Folgenden bewusst ausgeklammert werden. Stattdessen konzentrieren wir uns in Bezug auf Sportler auf mögliche Vorteile für die Leistungsfähigkeit und den Faktor „Gesundheit“, der oftmals eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für eine vegane Lebensweise spielt.
Was bedeutet „vegan“ überhaupt?
Im Grunde genommen ist die vegane Ernährung eine Weiterentwicklung der vegetarischen. Während Vegetarier lediglich Fleisch und Fisch aus ihrer Ernährung ausschließen, nehmen Veganer keinerlei tierische Produkte zu sich, verzichten also auch auf Milchprodukte und Eier. „Was kann man denn da noch essen?“ Mit dieser Frage sehen sich viele „Neu-Veganer“ zunächst konfrontiert. Die kurze Antwort: eine Menge. Und diese Menge kann zur echten Nährstoffbombe für Sportler werden.
Pflanzlicher Leistungsbooster?
Vegane Athleten sind in zahlreichen Sportarten vertreten – die berühmtesten Beispiele sind sicherlich die Tennisstars Venus Williams und Novac Djokovic, der Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton, die Olympiasiegerin im Weitsprung Malaika Mihambo sowie die Leichtathletiklegende Carl Lewis. Doch auch der Radprofi Simon Geschke, Ultramarathonläufer Scott Jurek und der ehemalige Profitriathlet Markus Rolli beweisen, dass Höchstleistungen im Training und Wettkampf mit einer pflanzlichen Ernährung möglich sind. „Wenn man Sportler fragt, die umgestellt haben, sind die Aussagen eigentlich immer die gleichen. Alle berichten, dass sich die Regenerationszeit verkürzt, dass die Muskeln nicht so schnell zumachen und sie vielleicht im zweiten Training des Tages noch genauso viel Power haben wie im ersten“, erzählt die Ernährungsexpertin Aleksandra Keleman, die sich auf vegane Ernährungsberatung spezialisiert hat und überwiegend Profisportler betreut. Die Auswirkungen zeigten sich meist bereits nach zwei bis vier Wochen. Markus Rumpf, ebenfalls Ernährungsberater für vegane Sporternährung und selbst ehemaliger Leistungsschwimmer, bestätigt diese Beobachtungen und ergänzt: „Oft zeigt sich eine Verbesserung des Hautbilds und der Verdauung sowie der Schlafqualität.“ Positive Auswirkungen könnten sich zudem hinsichtlich des Körpergewichts und des Körperfettanteils zeigen. „Viele Menschen verlieren nach der Umstellung an Gewicht, besonders nach dem Verzicht auf Milchprodukte“, sagt Keleman. Dabei handele es sich jedoch um „überschüssiges Gewicht“. Du brauchst also keine Angst zu haben, unkontrolliert abzunehmen und entkräftet vom Rad zu fallen.
Statistisch gesehen weisen Veganer einen besseren Gesundheitsstatus auf als Omnivore (Mischköstler). Es ist allerdings unklar, ob dies direkt auf die Ernährung zurückzuführen ist, denn Veganer legen meist auch insgesamt einen gesünderen Lebensstil an den Tag als die „Durchschnittsbevölkerung“. Sie treiben mehr Sport, rauchen seltener und trinken weniger Alkohol. Wer sich nur von Pommes mit Ketchup und stark verarbeiteten Ersatzprodukten ernährt, wird keinen Leistungsschub erleben, nur weil die Lebensmittel vegan sind. „Sportler machen sich generell viele Gedanken um ihre Ernährung und sind sich darüber im Klaren, dass diese einen entscheidenden Anteil an der Leistungsfähigkeit hat“, sagt Markus Rumpf. Mit einer ausgewogen gestalteten veganen Ernährung kann man in dieser Hinsicht vieles richtig machen. Durch den hohen Obst- und Gemüseanteil ist sie extrem reich an Mikronährstoffen – Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte liefern zusätzliche Ballaststoffe sowie Proteine. Die als ungesund und entzündungsfördernd geltenden gesättigten Fettsäuren kommen kaum vor, Cholesterin gar nicht. „Eine gut geplante pflanzliche Ernährung wirkt sich zudem positiv auf das Immunsystem aus, man hat weniger Infekte und kann infolgedessen natürlich auch die Trainingsgestaltung anpassen“, sagt Markus Rumpf. Einseitig ist die Pflanzenkost übrigens nicht, im Gegenteil. „Die meisten Menschen essen nach der Umstellung deutlich vielseitiger als vorher und erweitern ihre Lebensmittelauswahl“, erzählt Rumpf.
Risiken und Nebenwirkungen
Die Sorge, durch eine vegane Ernährung einen Nährstoffmangel zu erleiden, hält sich dennoch hartnäckig. Tatsächlich gibt es einige sogenannte kritische Nährstoffe, auf die man ein besonderes Augenmerk legen und die man gegebenenfalls über Nahrungsergänzungsmittel zuführen sollte. Welche das sind, da sind sich die Experten einig: Vitamin B12, Selen, Jod und Vitamin D3. „Diese Nährstoffe sind nicht nur wegen der veganen Ernährung kritisch, sondern generell schwierig abzudecken. Das liegt beispielsweise an der Beschaffenheit unserer Böden“, sagt Markus Rumpf. Auch Allesesser seien demnach oftmals nicht ausreichend mit den genannten Stoffen versorgt. Vitamin D3 nimmt dabei sogar noch eine Sonderrolle ein: Es kann so gut wie gar nicht über die Nahrung aufgenommen werden, sondern der Körper bildet es mithilfe des Sonnenlichts selbst. „Bei Vitamin D3 würde ich wirklich jedem in unseren Breitengraden empfehlen, es zu supplementieren“, sagt Aleksandra Keleman. Eine Frage, die Veganern immer wieder gestellt wird: „Woher bekommst du denn dein Eiweiß?“ Die Frage scheint zunächst berechtigt, denn die allgemein bekannten Proteinquellen Eier, Fleisch und Milchprodukte fallen weg. Müssen Sportler bei einem erhöhten Bedarf deshalb eine Unterversorgung befürchten? „Der Körper verwertet Aminosäuren. Und die sind alle auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten“, erklärt Markus Rumpf. Einzeln betrachtet wird pflanzliches Eiweiß tatsächlich etwas schlechter verwertet als tierisches. Im Rahmen einer Mahlzeit wird jedoch nur selten ein einziges Lebensmittel isoliert verzehrt, sondern immer mit weiteren Komponenten. Durch diese Kombinationen kann die Wertigkeit des enthaltenen Proteins deutlich gesteigert werden, sodass es dem tierischen Ursprungs in nichts nachsteht. In der Praxis musst du dir darüber jedoch nicht den Kopf zerbrechen. „Es ist nicht einmal notwendig, mehrere proteinreiche Lebensmittel innerhalb einer Mahlzeit zu kombinieren. Wer sich vielseitig ernährt und insgesamt genügend Kalorien zu sich nimmt, braucht sich um die Proteinzufuhr auch als Sportler keine Gedanken zu machen“, sagt Rumpf.
Umstieg leicht gemacht
Ein Patentrezept für den einzig richtigen Weg zur veganen Ernährung gibt es nicht, denn dieser hängt immer auch zu einem gewissen Teil von der Ausgangssituation ab. „Manche Menschen haben gar kein Problem damit, alle tierischen Produkte zu verschenken und von jetzt auf gleich nur noch vegan zu essen. Andere müssen Schritt für Schritt vorgehen, und auch das ist okay“, weiß Markus Rumpf. Wie streng du dann an die Sache herangehst und ob du für dich Ausnahmen definierst, bleibt dir überlassen und ist zudem Typsache. Doch Aleksandra Kelemann merkt an: „Nach meiner Erfahrung stellen sich die positiven Auswirkungen wirklich dann am besten ein, wenn man es konsequent durchzieht.“ Wirf dabei jedoch nicht zu schnell die Flinte ins Korn und gib dir einige Wochen Zeit zur Eingewöhnung. Wenn der erhoffte Energieschub ausbleibt, liegt möglicherweise ein Mangel an Nährstoffen oder schlicht an Kalorien vor. Zu Beginn kann ein Ernährungstagebuch hilfreich sein. Weitermachen wie bisher und dabei lediglich alles Tierische weglassen, funktioniert meistens nicht, ist unbefriedigend und sorgt letztendlich für Frustration. Gleichzeitig solltest du nicht einfach das Regal der Ersatzprodukte leer räumen und täglich Tofuwürstchen und veganen Käse konsumieren. Die Grundlage sollten vollständige Lebensmittel bilden, so bunt und vielfältig wie möglich. Beim Kochen kannst du schließlich nach einem Baukastenprinzip vorgehen: Mit einem Getreideprodukt respektive Kartoffeln, einer oder besser mehreren Gemüsesorten sowie einer Komponente Hülsenfrüchte machst du nichts falsch und hast unendliche Variationsmöglichkeiten. Wenn du hauptsächlich selbst kochst, wirst du schnell ein Gespür dafür entwickeln. Kann es losgehen? „Der Zeitpunkt der Umstellung ist grundsätzlich egal, die Off-Season oder der Trainingseinstieg bieten sich allerdings perfekt an“, sagt Keleman. „Als Sportler hat man dann in der Regel mehr Zeit und weniger Stress, um sich ausreichend mit der Thematik zu beschäftigen und sich eine Routine anzueignen.“ Die eigene Motivation ist zunächst der wichtigste erste Schritt, das Tempo bestimmst du selbst. Wage den Blick über den Tellerrand und finde für dich heraus, welchen Zugewinn die pflanzliche Ernährung für dein Athletendasein bringt.
Gemüse und Obst, möglichst saisonal, bilden die Grundlage der veganen Ernährung. Vollkorngetreide ist ein wichtiger Energielieferant und deckt, gemeinsam mit Hülsenfrüchten, die Proteinversorgung ab. Linsen, Bohnen, Kichererbsen oder Sojaprodukte werten jedes Gericht auf. Gute Fettquellen sind Nüsse und ungehärtete Öle. Ein Stück Kuchen darf natürlich ab und zu auch mal sein.
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