Endstation Idealgewicht

Jetzt ist der beste Zeitpunkt, um sich mit dem möglicherweise leidigen Thema „Wettkampfgewicht“ zu befassen. Wir zeigen dir, was du beachten solltest und wie du an ein sinnvolles Gewichtsmanagement herangehst.

Zu Beginn einer neuen Saison ist es gut möglich, dass zum jetzigen Zeitpunkt das eine oder andere Kilogramm mehr auf den Rippen ist als kurz vor dem Hauptwettkampf. Die zurückliegende Off-Season und eine nicht ganz normale Triathlonsaison 2021 haben vielleicht dazu beigetragen, dass auch du bei der Ernährung häufiger einmal die Zügel locker gelassen hast und nun feststellen musst, dass der Wettkampfeinteiler etwas knapper sitzt als bei seinem letzten Einsatz. Das ist völlig okay und normal und kein Grund zur Panik. Ganz unabhängig vom Beginn einer neuen Saison ist jetzt der richtige Moment, um sich mit dem persönlichen Idealgewicht zu befassen und der Wettkampfform nachhaltig ein Stück näherzukommen. Nachhaltig deshalb, weil eine Hauruckaktion der völlig falsche Weg wäre und ein kurzfristiger Erfolg dir höchstwahrscheinlich die sportliche Leistungsfähigkeit kaputt macht. Gemeinsam mit Coach Björn Geesmann erklären wir dir, wie ein sinnvolles Gewichts­management funktioniert.

Ist weniger mehr?

Es ist kein Geheimnis, dass ein niedriges Körpergewicht vorteilhaft ist, um schnell zu laufen und beim Radfahren bergauf die Nase vorn zu haben. Ausschlaggebend ist hierbei insbesondere der geringe Körperfettanteil, denn Fett trägt im Gegensatz zur Muskulatur nicht zum aktiven Vortrieb bei. Der Bereich, der bezüglich des Körperfett­anteils von der Weltgesundheitsorganisation WHO als normal angegeben wird, ist recht groß. Für Männer liegt er bei 10 bis 20 Prozent, für Frauen bei 20 bis 30 Prozent. Für Sportler gelten diese Werte nur bedingt und sind auf jeden Fall am unteren Ende dieses Bereichs oder noch darunter einzuordnen. Die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Profi- und Hobbyathleten ist sehr wichtig. „Jedem Hobbysportler muss klar sein, dass ein einstelliger Körperfettanteil sehr wenig ist – und das gilt nur für Männer. Bei Frauen wäre das extrem gefährlich“, sagt Björn Geesmann. Egal ob es um das Gewicht oder den Körperfettanteil geht: Du solltest dich nicht auf eine bestimmte Zahl versteifen. „Man muss immer das individuelle Idealgewicht berücksichtigen, einen allgemein gültigen Wert gibt es nicht“, so Geesmann. Wenn du also für dich persönlich ein Ziel definieren willst, vergleichst du dich am besten nur mit dir selbst und überlegst dir, welches Gewicht du in der jüngeren Vergangenheit, etwa in der letzten oder vorletzten Saison, bereits hattest und wie leistungsfähig du dich damit gefühlt hast. Diese Form ist ein realistisches Ziel, das du erneut erreichen und damit deine Leistungsfähigkeit positiv beeinflussen kannst. Schießt du über dieses Ziel hinaus, droht sich dieser Effekt allerdings umzukehren, du wirst anfälliger für Infekte und Verletzungen und bekommst weniger Druck auf das Pedal.

Realitätscheck

Bevor du ein Trainingsziel definierst, erfasst du mit einem Leistungstest den aktuellen Zustand, richtig? Beim Thema Gewichtsmanagement gehst du ähnlich vor. Björn Geesmann empfiehlt einen Beobachtungszeitraum von zwei Wochen, um die Realität gut abzubilden: „Mit einem Ernährungstagebuch erhält man einen guten Überblick der aktuellen Zufuhr. An der Ernährung sollte deshalb erst einmal gar nichts verändert werden. Zwei Wochen sind dafür ein geeigneter Zeitraum, denn da ist auch mal der eine oder andere Ausrutscher dabei.“ Keine Sorge, das Abwiegen der Nahrungsmittel und Kalorienzählen musst du nicht dauerhaft beibehalten. Wichtig ist, dass du ehrlich zu dir selbst bist und Snacks sowie kalorienhaltige Getränke nicht vergisst. Ziel ist es, Ernährungsgewohnheiten und eventuell -fallen aufzudecken. Parallel dazu solltest du dich regelmäßig wiegen. „Am besten macht man das mindestens jeden zweiten Tag, um einen Trend beobachten zu können“, sagt Geesmann. Wie bei der Ernährung geht es hierbei also ebenfalls noch nicht darum, Erfolge zu erzielen, sondern nur um eine Protokollierung von Schwankungen, die beispielsweise durch Wassereinlagerungen auftreten können. Achte darauf, einen gleichbleibenden Standard zu haben. „Man sollte sich möglichst immer zur gleichen Uhrzeit und unter gleichen Bedingungen wiegen – beispielsweise immer morgens nach der Toilette und vor dem Frühstück“, rät der Coach. Wie eingangs erwähnt, verrät das Gewicht nur die halbe Wahrheit und der Körperfettanteil ist der wichtigere Parameter. Diesen kannst du mit verschiedenen Methoden ermitteln. Viele Waagen besitzen mittlerweile eine solche Funktion. Der Nachteil daran ist, dass sie nur das Körperfett des Unterkörpers messen können und somit keinen genauen Wert liefern. Eine gleichzeitig einfache, genaue und kostengünstige Alternative ist eine sogenannte Caliperzange. Geesmann erklärt, wie sie funktioniert. „An mehreren Körperstellen, beispielsweise am Oberschenkel, der Hüfte, am Bauch und unter dem Kinn, wird die Dicke der Hautfalten gemessen. Mit dem Mittelwert kann der prozentuale Körperfettanteil berechnet werden“, sagt er. Das sei jedoch gar nicht zwingend notwendig. „Keep it simple. Wenn zum Schluss etwa am Bauch zwei Zentimeter verloren gehen, weiß man auch ohne einen Prozentwert, dass man ordentlich Fett abgebaut hat.“

Gewusst wie

Um Gewicht zu verlieren, muss ein Kalo­ri­endefizit erzeugt werden. An diesem vermeintlich einfachen Grundsatz gibt es nichts zu rütteln. Wenn es aber wirklich so einfach wäre, könntest du einfach die altbekannte FDH-Diät („Friss die Hälfte“) oder eine Fastenkur durchführen und hättest im Nu dein Wunschgewicht. Die Wahrheit ist etwas komplexer und ein solches Vorgehen zum Scheitern verurteilt. Eine der wichtigsten Regeln ist, dass du dich für das Projekt „Gewichtsmanagement“ ausreichend Zeit nimmst und konsistent daran arbeitest. Für jeden Menschen gibt es eine bestimmte Kalorienmenge, die dem Organismus zur Verfügung stehen muss, um alle körperlichen Funktionen im Alltag aufrechtzuerhalten. Pro Kilogramm fettfreier Masse sind das 30 Kilokalorien täglich. Wird dieser Wert unterschritten, wirkt sich das unter anderem negativ auf das Hormon- und Immunsystem aus. Wichtig für Sportler: Der Energieumsatz des Trainings muss zu dieser fixen Energiezufuhr hinzuaddiert werden. „Genau deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um sich damit zu beschäftigen. Das Training ist viel kontrollierbarer als in der heißen Phase vor dem Wettkampf. Da werden nämlich schnell einmal mehrere Tausend Kilokalorien umgesetzt, die dann zusätzlich gegessen werden müssen“, sagt Björn Geesmann. Das Kaloriendefizit, das täglich angestrebt werden kann, ergibt sich durch diese Rechnung sowie die Kenntnis über die aktuelle Zufuhr dann von selbst. Je höher das aktuelle Körpergewicht, desto höher darf auch das Defizit sein. Ebenfalls wird deutlich, welchen Zeitraum du für eine Gewichtsabnahme veranschlagen solltest. „Ein Kilogramm reines Fett enthält etwa 9.000 Kilokalorien. Wenn man davon dann fünf Kilogramm loswerden will, dauert das schon mal ein halbes Jahr“, so Geesmann. Nicht nur die Kalorienzufuhr, sondern auch die Verteilung der Makronährstoffe ist von Bedeutung. Bei einem Kaloriendefizit sind Eiweiß und Fett besonders entscheidend. Eiweiß ist wichtig, um die Muskulatur vor einem Abbau zu schützen, Fett spielt eine wichtige Rolle im Hormonstoffwechsel. Beide Nährstoffe tragen außerdem zu einer längeren Sättigung bei. „Die Eiweißzufuhr sollte bei etwa 1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht liegen. Wer die Kohlenhydrate reduzieren will, muss unbedingt darauf achten, das Fett gleichzeitig zu erhöhen. Für Ausdauer­sportler ist das ohnehin vorteilhaft, um den Fettstoffwechsel zu optimieren“, sagt der Coach.

Frank Wechsel | powerandpace.de

Berechnung des Energiebedarfs

Harris-Benedict-Formel

Mit dieser Formel lässt sich der persönliche Grundumsatz näherungsweise berechnen. Dieser bezeichnet die tägliche Energiemenge, die bei völliger Regungslosigkeit nötig wäre, um lebenswichtige Funktionen aufrechtzuerhalten. Je nach körperlicher Aktivität, die durch Training und Alltag zustande kommt, wird der Grundumsatz mit dem sogenannten PAL-Wert (Physical Activity Level) multipliziert. Sitzen entspricht dabei einem Wert von 1, Gehen etwa 4 und lockeres Joggen einem Wert von 8. Nehmen Sie dabei einen Mittelwert, der Ihrem durchschnittlichen Tagesablauf entspricht, um Ihren gesamten Energiebedarf grob zu berechnen.

Männer:

Grundumsatz = 66,47 + (13,7 x Körpergewicht [kg]) + ­­
(5 x Körpergröße [cm]) – (6,8 x Alter [Jahre])

Frauen:

Grundumsatz = 655,1 + (9,6 x Körpergewicht [kg]) +
(1,8 x Körpergröße [cm]) – (4,7 x Alter [Jahre])

Energieverfügbarkeit

Diese Berechnung bezieht sich nicht auf das ­gesamte Körper­gewicht, sondern nur auf die fettfreie Masse. ­Diese Energiemenge muss dem Körper NACH dem Training noch mindestens zur Verfügung stehen.

Energieverfügbarkeit = fettfreie Masse [kg] x 30 [kcal] 

Achtung: Frauen sollten bei dieser Formel lieber mit 40 Kilo­ka­lorien multiplizieren, um Störungen des ­Hormonhaushalts zu vermeiden.

Kein falscher Ehrgeiz

Um es deutlich zu machen: Es ist nicht notwendig, eine spezielle Ernährungsform zu verfolgen, um erfolgreich abzunehmen. Deine Ernährung sollte ausgewogen sein und zu deinem Alltag passen und nicht zu einer sozialen Isolation führen. Es geht nicht um eine radikale Restriktion, sondern vielmehr um eine Umstellung des ­Lebensstils, die auch Ausnahmen zulässt und langfristig durchführbar ist. Damit vermeidest du übrigens außerdem den berüchtigten Jo-Jo-Effekt, da der Stoffwechsel nicht komplett auf Sparflamme läuft. An deiner Leistungsfähigkeit, sei es im Training oder Alltag, merkst du schnell, ob du auf dem richtigen Weg bist. „Das Training sollte normal absolviert werden können. Bei ­einer Crash-Diät ist das nicht möglich“, sagt Geesmann. Bedenken solltest du außerdem, dass ein Kaloriendefizit für den Körper zusätzlichen Stress bedeutet. Davon hast du im beruflichen Alltag vermutlich bereits mehr als genug, deshalb solltest du der Regeneration besonders viel Beachtung schenken, um keine Verletzungen zu riskieren. Wenn du dich schlapp fühlst, die Leistung stagniert oder sich sogar reduziert, solltest du das als ernstes Alarm­zeichen werten und die Kalorienzufuhr wieder erhöhen. Sieh das Ge­wichtsmanagement als Teil deines Trainings. Dieses läuft ebenso in verschiedenen Phasen ab und wird langfristig geplant. Mit Ausdauer und Disziplin wirst du dein Ziel erreichen – und daran hast du als Triathlet ja sicherlich keinen Mangel.

Daumen hoch für:

Low Carb

Werden die Kohlenhydrate in der Ernährung reduziert, fällt es mitunter leichter, ein Kaloriendefizit zu erreichen, da weniger Heißhungerattacken vorkommen können. Wichtig ist dabei, dass der Anteil der Fette gleichzeitig deutlich erhöht wird. Sie dienen dann vorrangig als Energieträger und sorgen in Kombination mit einer ausreichenden Proteinzufuhr für eine lang anhaltende Sättigung ohne starke Blutzuckerschwankungen. Tasten Sie sich langsam heran und verbannen Sie Kohlenhydrate keinesfalls komplett von Ihrem Speiseplan. 

Intervallfasten

Das sogenannte Intervallfasten ist ein Trend, der bereits seit einigen Jahren weitverbreitet ist. Die Idee dahinter ist, die natürliche Fastenphase (in der Regel über Nacht) auf 16 bis maximal 20 Stunden auszudehnen und nur noch im verbleibenden Zeitfenster Nahrung zuzuführen. Ein Kaloriendefizit kann dadurch meist relativ einfach erzeugt werden. Besonders Sportler sollten unbedingt darauf achten, dass diese Methode zu den Trainingsgewohnheiten passt und sowohl vor als auch nach dem Training ausreichend Energie zugeführt wird.

Daumen runter für:

Crash-Diät

Radikale Diäten oder extrem einseitige Ernährungsformen, bei denen nur wenige Lebensmittel erlaubt sind, sind ein klares No-Go beim Thema Gewichtsmanage­ment. Je eingeschränkter die Auswahl der Nahrungsmittel, desto eher läuft man Gefahr, in einen Mangelzustand zu geraten. Das kann gesundheitlich gefährlich werden und eine verringerte Leistung im Training wäre dann noch das ­kleinste Problem. Der Stoffwechsel passt sich langfristig an eine extrem niedrige Energiezufuhr an, sodass Sie nach der Diät schnell wieder zunehmen.

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