Freie Fahrt für Fast Food?

Du befindest dich mitten im Saisonauftakt. Ab jetzt nehme die Trainingsumfänge allmählich wieder zu und damit auch der Kalorienbedarf, der tagtäglich gedeckt werden will. Bei ambitionierten Hobbysport­ lern liegt dieser bei mehreren Tausend Ki­lokalorien. Nach dem Training muss die verloren gegangene Energie schnell wieder aufgeladen werden, und das geht mit Fast Food, Schokoriegeln und Co. überaus einfach und innerhalb weniger Minuten. Selbst wäh­rend des Trainings sind die süßen und salzi­gen Retter meist an jeder Ecke verfügbar. Wer schon einmal auf dem Rad oder beim Laufen einen Hungerast erlitten hat, weiß, wie es ist, wenn man überfallartig in die nächstbeste Bäckerei oder Tankstelle stürmt und „Ein­ mal alles“ gerade genug wäre. Nach getaner Arbeit, sowohl im Beruf als auch im Training, fehlen oft Zeit und Muße, um sich noch lan­ge in die Küche zu stellen. Und Belohnungen müssen schließlich auch sein. Dazu kann auch ein Glas Wein oder das Feierabendbier­chen gehören, das man sich mitunter mehr oder weniger regelmäßig genehmigt. Natür­lich ist bekannt, dass eine als allgemein ge­sund geltende Ernährung wichtig ist, um den Körper bestmöglich zu versorgen und damit auch die Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu verbessern. Doch was bei Nicht­Sportlern relativ schnell auf den Hüften landet, ver­brennt man als Ausdauerathlet doch sowieso wieder – und so schlimm können Burger und Pizza ja nun auch nicht sein.

Mehr als Kalorien

Bei einer angepassten Ernährung geht es um mehr als nur um einen Ausgleich der Energiebilanz. Besonders in intensiven Trai­ ningsphasen ist genau dieser aber oft gar nicht so leicht – wäre eine Kalorienbombe da nicht einfach eine bequeme Lösung? „Sicher nicht“, sagt die Ernährungsexpertin Caroline Rauscher. „Es ist kein Hexenwerk, die Versor­ gung während der Belastung über entspre­ chende Sportgetränke, vorheriges Aufladen der Kohlenhydratspeicher sowie mit einem gut trainierten Fettstoffwechsel sicherzustel­ len.“ Beim Training gehen nämlich nicht nur Energie und Flüssigkeit, sondern auch wich­ tige Mineral­ und Nährstoffe verloren, die wieder zugeführt werden müssen. Hierbei sei entscheidend, dass diese Stoffe zügig auf­ genommen würden, sagt Caroline Rauscher.

„Eine schnelle Nährstoffaufnahme ist eine Art Kickstart für alle adaptiven und regenera­ tiven Prozesse. Fertiggerichte und Fast Food enthalten in der Regel sehr viele Zusatzstoffe und minderwertige Fette, die nach dem Ver­ zehr erst einmal lange verdaut werden müs­ sen“, so die Expertin. Das führe dazu, dass die enthaltenen Proteine und Kohlenhydrate die Muskulatur erst zeitverzögert erreichen, was sich negativ auf die Qualität der Regeneration auswirke. Auch die Ernährungswissenschaft­ lerin Caroline Cornfine betont, wie wichtig eine hochwertige Lebensmittelauswahl ist:

„Je mehr man trainiert, desto entscheiden­ der wird es, was man isst. Sogenannte leere Kalorien haben keinerlei Mehrwert“, sagt sie.

„Wer nicht darauf achtet, viele Lebensmittel mit einer hohen Mineral­ und Nährstoffdich­te zu sich zu nehmen, gerät schnell in ein De­fizit.“ Wichtig ist: Eine gesunde Ernährung ist nicht gleichbedeutend mit einer Diät und zielt nicht zwangsläufig auf eine Gewichts­abnahme ab – Kalorienbomben ja, aber bitte hochwertig. Das gelingt mit reichlich komple­xen Kohlenhydraten. Vollkornprodukte, Kar­toffeln, Reis oder andere Getreideprodukte sind hier gute Quellen. Auch wertvolle Fet­te sollten fester Bestandteil des Speiseplans sein und sind eine gute Möglichkeit, um die Nährstoffdichte auf gesunde Weise zu erhö­hen. Hierzu zählen Nüsse, Nussmus und Öle wie Oliven­, Raps­ oder Leinöl, mit denen sich jedes Gericht aufwerten lässt. Für Vitamine sorgt eine möglichst bunte Auswahl an Obst und Gemüse.

Der richtige Treibstoff

Damit ein Auto fährt und der Motor nicht kaputtgeht, benötigt es den richtigen Treib­stoff. Beim menschlichen Körper ist das nicht anders. Dieser Vergleich mag fast schon ab­ gedroschen klingen, ist aber absolut zutref­fend. Bedeutet das, dass das klassische „Rad­fahrer­Gedeck“, bestehend aus Schokoriegel und Cola, komplett  gestrichen werden sollte? „Nicht unbedingt“, sagt Caroline Cornfine. „Wer gern Süßigkeiten isst und sie gut ver­trägt, kann sie beispielsweise gern als Trainingsverpflegung für lange Einhei­ten einbauen und dafür auf klassische Gels oder Energieriegel verzichten.“ Caroline Rauscher sieht das anders. Um eine optimale Versorgung zu gewährleis­ten, müsse die maximal mögliche Menge an Kohlenhydraten zur Verfügung stehen. Die­ se solle bestenfalls aus verschiedenen Arten von Kohlenhydraten bestehen. „Die Zusam­mensetzung von Cola und Schokoriegeln bewirkt, dass die Magenentleerung negativ beeinflusst wird und deshalb die enthaltene Energie verzögert freigesetzt wird und in den Blutkreislauf gelangt“, so Rauscher. Sie betont aber auch, dass jeder Athlet seine Er­nährung hinsichtlich seiner Ansprüche über­ prüfen sollte. Das heißt: Wenn der Fokus auf einer optimalen Leistungsentwicklung liegt und bestmögliche Resultate erzielt werden sollen, hat auch die Ernährung einen sehr hohen Stellenwert – sowohl im Alltag als auch im Training. Kann man also mit einer suboptimalen Basisernährung sämtliche Trainingseffekte zunichtemachen? „Den schlechtesten Einfluss hat definitiv Alkohol“, sagt Caroline Cornfine. „Selbst bei kleinen Mengen werden die Regenerationsprozesse erst einmal heruntergefahren, da der Körper mit dem Abbau des Alkohols beschäftigt ist.“ Sie rät vor allem in intensiven Trainingspha­sen zum kompletten Verzicht. Wer das nicht will, muss sich darüber im Klaren sein, dass vielleicht nicht das volle Potenzial einer Trai­ningseinheit ausgeschöpft wird. „Wenn man sich mal nicht so sehr belastet hat, kann man die Pizza und das Bier eher an einem Ruhetag genießen, wenn viele regenerative Prozesse bereits abgeschlossen sind“, sagt die Wissen­schaftlerin mit einem Augenzwinkern.

Nun kennt aber auch fast jeder diesen einen Sportler, der sich offensichtlich nicht ideal ernährt und dennoch Leistungsfort­ schritte macht. Ein Phänomen, das durchaus erklärbar sei, sagt Caroline Rauscher. „Jeder reagiert aufgrund seiner biochemischen Indi­vidualität anders auf Lebensmittel. Es gibt ja auch Menschen, die ihr Leben lang rauchen und trotzdem bis ins hohe Alter gesund blei­ben.“ Dennoch sei eine ausgewogene und an­gepasste Basisernährung ihrer Meinung nach zu jedem Zeitpunkt ein wichtiger Faktor für die Gesundheit und Leistungsentwicklung. Diese Anforderungen gewinnen zudem auch mit zunehmendem Alter immer mehr an Be­deutung, wie Caroline Cornfine erklärt. „Ab etwa 40 Jahren laufen Stoffwechselprozesse und damit auch die Regeneration ohnehin deutlich langsamer ab. Diese sollte dann nicht noch zusätzlich durch eine mangelhaf­te Ernährung behindert werden.“ In jünge­ren Jahren könne man kleinere und größe­re „Sünden“ noch besser verkraften, selbst wenn dann vielleicht nicht das volle Potenzial des Athleten ausgeschöpft werde.

Ernährung als Teil des Trainings

Wichtig ist, dass die Ernährung immer Hand in Hand mit dem (Trainings­)Alltag gehen und darauf abgestimmt sein sollte. Wer am­bitioniert trainiert und Wert auf die Qualität der Trainingsinhalte legt, sollte das bei der Ernährung auch tun. „Sämtliche Komponen­ten, die wir über die Nahrung aufnehmen, werden in unserem Organismus ein­ und umgebaut. Wenn man sich diese Tatsache vor Augen hält, liegt es auf der Hand, dass die beste Qualität der Nahrungsmittel gerade gut genug ist“, sagt Caroline Rauscher. Auch der Verarbeitungsgrad, enthaltene Zusatz­stoffe, die Schadstoffbelastung, der Einsatz von Gentechnik sowie die CO₂­Bilanz spielten hierbei eine wichtige Rolle. Komplett verteu­felt werden sollten vermeintlich ungesunde Lebensmittel aber auch nicht. In bestimmten Situationen können Sie sich diese sogar zu­ nutze machen. „Nimmt ein Athlet beispiels­weise im Zuge des Carboloadings vor einer oder zwei Langdistanzen im Jahr Gummi­bärchen und Süßgetränke zu sich, heiligt der Zweck die Mittel und beeinträchtigt auch nicht Gesundheit“, sagt Rauscher. Wichtig sei es, diese Dinge nicht wie selbstverständlich in die tägliche Ernährung einzubauen. Wenn das über einen längeren Zeitraum der Fall ist,

leidet nicht nur das Training, sondern auch die allgemeine Gesundheit, was gegebenen­ falls mit verschlechterten Blutwerten und der Entwicklung chronischer Erkrankungen einhergeht.

Die Menge macht’s

Auch wenn das bislang alles etwas drama­tisch und teils spaßbefreit klingt, gilt nach wie vor der Grundsatz: Die Dosis macht das Gift. Das sehen auch die beiden Expertinnen so. „Der Spaß sollte natürlich nicht vernach­lässigt werden. In den allermeisten Fällen ist der Sport ein Hobby und es kommt nicht da­ rauf an, dass zu jedem Saisonzeitpunkt alle Faktoren perfekt passen“, sagt Caroline Cornfine. Caroline Rauscher fügt hinzu:

„Essen ist Lebensqualität, und das ist auch richtig so. Gegen ein Stück Kuchen oder ei­nen Burger ab und zu ist selbstverständlich nichts einzuwenden.“ Diese Dinge funktio­nieren auch prima als Belohnung für ein er­reichtes Ziel, beispielsweise in der Entlas­tungswoche. Wenn Sie Ihre Ernährung aber dauerhaft umstellen und weitgehend unver­arbeitete Lebensmittel bevorzugen, wird sich das Verlangen nach „Junk Food“ ganz von alleine regulieren – versprochen.

Frank Wechsel | powerandpace.de

CAROLINE CORNFINE

Caroline Cornfine arbeitet nach ihrem Studium der Ernährungswissenschaften hauptberuflich als Redakteurin und Autorin. Als Hobbytriathletin ist sie hauptsächlich auf der Langdistanz unterwegs.

CAROLINE RAUSCHER
Caroline Rauscher ist Pharmazeutin und hat sich auf individuelle Sporternährung spezialisiert. Sie betreut sowohl Hobbysportler als auch Profis wie Laura Philipp, Florian Angert und Nils Frommhold.
nft-sport.com

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