Durchlaufen oder verschnaufen auf der Langdistanz: Geht das gut?

Vielen Triathlonfans sind die Bilder von Jan Frodenos Langdistanzdebüt am 6. Juli 2014 beim Ironman Frankfurt in Erinnerung ge­blieben: Der Olympiasieger von 2008 absolvierte den abschließenden Marathon in Intervallform. 22 Gehpausen legte Frodeno auf den 42,195 Laufkilometern ein. Das Resultat: 2:43:14 Stunden – die schnellste Laufzeit des Tages und nur wenige Se­kunden langsamer als der Laufstreckenrekord in Frankfurt. Während des Rennens wurde bei der TV-Übertragung viel über diese ungewöhnliche Me­thode diskutiert. Denn Gehpausen sieht man bei Profi­triathleten auf der Langdistanz selten. Außer wenn sie „platzen“, womit das Überzocken beim Tempo und die anschließende Wanderschaft gemeint sind. Aber wie Frodeno mit 22 Gehpausen den schnellsten Marathon zu absolvieren und noch auf den dritten Platz vorzulaufen – das hatte es vorher noch nicht gegeben. Gehpausen als Erfolgsgeheimnis? Frodeno selbst sagte zu seiner ungewöhnlichen Taktik: „Ich bin mir bewusst, dass das ständige und schnelle Anlaufen bei einer Langdistanz für die meisten Athleten wohl unvorstellbar wäre. Aber für mich hat das gut funkti­oniert. Allerdings hatte ich damit auch noch nie gro­ße Probleme.“ Ist diese Taktik wirklich nur etwas für erfahrene Profis oder können eventuell auch andere Athleten einen Nutzen aus geplanten Gehpausen wäh­rend des Wettkampfes ziehen? Überzeugende Argu­mente gibt es für beide Methoden.

Den Rhythmus finden

Viele Athleten kennen dieses Gefühl: Oft braucht man einige Minuten, bis man beim Laufen seinen Rhyth­mus findet. Aber läuft es erst einmal, würde man um jeden Preis verhindern wollen, seinen Lauffluss unter­brechen zu müssen. Wer bereits Wettkämpfe mit 180-Grad-Wendepunkten oder Toilettenpausen absol­viert hat, weiß, wovon die Rede ist. Also sollte man grundsätzlich denken, dass es immer ratsam ist, in diesem Rhythmus durchzulaufen. Stimmt theoretisch auch, aber bei der praktischen Umsetzung verhält es sich wie mit der Atmung beim Schwimmen: Behält man den Kopf unter Wasser und hebt ihn nicht zum Atmen heraus, ist man schneller. Trotzdem kann man nicht durchgehend schwimmen, ohne Luft zu holen. Genauso muss man das Tempo im Triathlon an den Verpflegungsstationen drosseln, um Nahrung ver­nünftig aufnehmen zu können. Die Frage ist nur, wie sehr man dabei seine Geschwindigkeit reduzieren muss.

Wann sind Gehpausen sinnvoll?

Je länger die Distanz der Laufstrecke im Triathlon, desto wichtiger ist die Verpflegung. Während einige Athleten eine Sprintdistanz sogar ohne Getränke, Gels oder Riegel absolvieren können, kommt man ab der olympischen Distanz um eine durchdachte und aus­reichende Ernährungsstrategie nicht herum. Und spätestens auf der Mitteldistanz kann Unterversorgung einem den gesamten Wettkampf vermiesen. Hier kommen die Gehpausen ins Spiel: Denn umso schneller man sich beim Laufen fortbewegt, desto schwieriger ist die Nahrungsaufnahme. Aus den ge­reichten Bechern, die sowieso nur zur Hälfte gefüllt sind, wird ein Großteil verschüttet und letztendlich werden nur wenige Milliliter aufgenommen. Hinzu kommt, dass der Atemrhythmus unterbrochen wird, wenn man während des Laufens trinkt. Infolgedessen atmet man nach der Nahrungs- beziehungsweise Flüssigkeitsaufnahme für eine kurze Zeit unkontrol­liert, japst oder bekommt kurz Schnappatmung. Sprich: Wer für einige Momente geht, kommt zwar aus dem Laufrhythmus, kann aber gezielt und effektiv seine Nahrung aufnehmen. Aber selbst wenn dieser Vorgang nur wenige Sekunden dauert, liegt die Her­ausforderung im Anschluss darin, wieder anzulaufen und direkt sein Tempo zu finden. Wie gut einem das gelingt, hängt ein Stück weit mit der Leistungsfähig­keit im Laufen zusammen, wie ausgiebig man diesen Vorgang vorher trainiert hat und wie gut man im Kopf darauf vorbereitet ist. Denn weiß man vorher, dass Gehpausen geplant oder zumindest eine Option sind, fallen sie einem im Rennen leichter. Wer zum Gehen gezwungen wird, beispielsweise durch Energieman­gel, wird in diesem Moment nur im Kopf haben, dass er von seinem Plan abweicht und Zeit verliert – Ge­danken, die die Situation sehr schwer machen. Die mentale Komponente spielt also auch eine Rolle. Vor allem, da man höchstwahrscheinlich bei den Gehpau­sen von anderen Athleten überholt wird. Hinzu kommt, dass man nach diesen kurzen Pausen dazu neigt, überdurchschnittlich schnell wieder anzulau­fen. Einige Athleten, speziell gute Läufer, kommen damit sehr gut zurecht, laufen relativ zügig los und wechseln nach kurzer Zeit wieder in ihren normalen Laufrhythmus. Anderen Athleten gelingt dies auf­grund mangelnder Koordination, Kraft oder Erfah­rung nicht. Im schlimmsten Fall endet die Umsetzung dann in Krämpfen.

Eine individuelle Frage

Letztendlich muss jeder für sich selbst abwägen, wie gut er sich bei einem gewissen Lauftempo verpflegen kann und wie einfach oder schwer ihm das Anlaufen fällt. Das kann und wird jeder abhängig von der Dis­tanz unterschiedlich empfinden. Natürlich ist das An­laufen bei einer olympischen Distanz bei Kilometer sieben einfacher als das Anlaufen bei einer Lang­distanz nach 35 Kilometern. Nichtsdestotrotz kann es nicht schaden, auf diesen Fall vorbereitet zu sein. Spe­ziell, wenn man auf der Mittel- und Langdistanz un­terwegs ist. Bei Intervalleinheiten bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie man mit dem ständigen Anlaufen klarkommt. Wer die Nahrungsaufnahme unter Wettkampfbedingungen dabei gezielt trainieren möchte, kann sich für die Entlastungsphasen eine eigene Verpflegungsstation mit gefüllten Bechern und Gels aufbauen. Außerdem kann es helfen, gelegentlich das Trinken beim Laufen zu üben. Genauso verhält es sich auch mit der Aufnahme von Gels oder Riegeln – je nachdem, wie man sich beim Rennen verpflegen möchte. Was für dich am besten funktioniert, wirst du mit Sicherheit wohl nur dann wissen, wenn du beides einmal ausprobiert hast.

Praxistipps

  • Aus eigenen kleinen Flaschen (evtl. Trinkgürtel) bekommt man mehr Flüssigkeit als aus den Be­chern an der Verpflegungsstation – und kann kontrollierter trinken.
  • Gehpausen können zur Nahrungs­aufnahme sinnvoll sein, nicht aber um sich zu erholen.
  • Das Anlauten kann durch Inter­valltraining (mit Verpflegung) geübt werden.
  • Auch das Trinken (im Wett­kampftempo) sollte idealerweise trainiert werden, wenn man durch­laufen möchte.
  • Schon 10- bis 15-sekündige Geh­pausen reichen zur Nahrungsauf­nahme aus.

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