Koffein im Sport: Wunderwaffe oder kalter Kaffee?
Koffein ist für Sportler wahrlich kein neuer Trend. Doch es gibt Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, aufgrund derer Sie Ihren Koffeinkonsum unbedingt überprüfen sollten.
Kaffee ist in. Im Alltag und besonders im Sport. Keine Gruppenausfahrt ohne Kaffeestopp, der stylishe Sporthändler hat eine große polierte Espressomaschine im Laden und wer als Triathlet was auf sich hält, gibt heute einen ausgebildeten Barista ab. Zudem ist Koffein, der dahintersteckende pflanzliche Wirkstoff, mittlerweile in vielen Gels ohnehin an Bord. Wir haben uns mit zahlreichen Experten unterhalten und zeigen dir, welche Vor- und Nachteile Koffein hat, wie du es am besten einsetzt und für wen dieser vermeintliche Wunderstoff vielleicht überhaupt nichts ist.
Allzweckwaffe Koffein
Egal mit wem man spricht, die positiven Eigenschaften von Koffein scheinen offenbar alle zu überzeugen. Athleten, Trainer, Sportmediziner und Ernährungswissenschaftler betonen unisono den positiven Effekt von Koffein beim Sport als leistungssteigernd. Wohlgemerkt als erlaubt, evidenzbasiert wie kaum ein anderer Stoff und zudem gesellschaftlich so verbreitet, dass es auch im Alltag für viele schwer wäre, komplett auf diesen zu verzichten.
Die Vorteile sind zahlreich: Koffein verzögert die Ermüdung in Training und Wettkampf sowie bei viel trainierenden Athleten im Berufsalltag auch davor und danach. Es wirkt leistungssteigernd sowohl hinsichtlich der Ausdauer als auch bei intensiven Sprints und erlaubt somit ein höheres Belastungsniveau. Die Belastung wird zudem nicht als so hoch wahrgenommen und der RPE-Wert (Received Perception of Exertion) wird als geringer angegeben, wurde vorher Koffein konsumiert. Ein weiterer großer Pluspunkt (speziell bei Ausdauersportarten wie Triathlon): Es hilft bei der Freisetzung von Fettsäuren aus dem Fettgewebe, das von gut stoffwechseladaptierten Athleten dann besser als Energiequelle genutzt werden kann. Zudem wirkt es auch in Phasen der Regeneration schmerzlindernd. Kurzum erscheint Koffein also optimal, wenn es darum geht, mehr aus sich herauszuholen und speziell im Sport länger und härter Gas geben zu können. Noch mal: all das bei einer starken wissenschaftlichen Beweislage für all diese Vorteile, weitestgehend herstellerunabhängig.
Wie funktioniert das genau?
Koffein wirkt bei oraler Einnahme direkt auf das zentrale Nervensystem, das dann den Großteil der genannten Vorteile von Koffein steuert. Markus Hertlein, Sportwissenschaftler von HYCYS, erklärt das bei Sportlern im Detail so: „Die Währung des Körpers für Energie ist Adenosintriphosphat (ATP), erzeugt beispielsweise aus Kohlenhydraten. Aus ATP entsteht unter Belastung das Nebenprodukt AMP, das an die Adenosinrezeptoren andockt und über Rückkopplungseffekte die Reizweiterleitung beziehungsweise die Aktivität von Neurotransmittern hemmt. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass, je mehr AMP vorhanden ist, die Produktion von neuem AMP limitiert werden soll. Hier kommt Koffein ins Spiel. Es umgeht den Mechanismus der Hemmung der Erregungsweiterleitung. Die chemische Struktur von Koffein ähnelt dem Adenosin und kann so an die Adenosinrezeptoren andocken, ohne diese zu aktivieren. Koffein blockiert also die Rezeptoren. Die Erregungsweiterleitung über die Nervenbahnen funktioniert trotz steigender AMP-Konzentration weiterhin. Und eine höhere AMP-Konzentration bedeutet, dass mehr ATP durchgeschleust werden konnte, der Sportler hat mehr Energie zur Verfügung und kann mehr Leistung erbringen.“ Hierzu muss Koffein über das Blut aber erst ins zentrale Nervensystem gelangen, was immer zu einer zeitlichen Verzögerung führt. Je nach gewünschtem Wirkungspeak sollte die Koffeingabe deshalb 30 bis 60 Minuten vorher erfolgen.
So mechanisch es bis hier klingen mag, so individuell funktioniert es jedoch in der Praxis. Faktoren wie Größe und Gewicht haben Einfluss auf die Wirkung, und ob der Koffein-Boost überhaupt funktioniert, ist abhängig vom Genoytp. Der Grund hierfür sind die beiden Gene CYP1A2 und ADORA2A, die die Verstoffwechselung von Koffein und die individuelle Empfindlichkeit darauf beeinflussen. Sie bestimmen, wie und ob auf Koffein reagiert wird. Deshalb gilt es, sein persönliches Optimum durch Tests herauszufinden – oder im Zweifelsfall auch damit leben zu können, dass es einem sportlich wenig bis nichts bringt, auch wenn man seit Jahren auf Kaffee als Genussmittel mit vermeintlich wach machender Wirkung setzt.
Coffeegen-Test
Neben dem Praxistest geht das neuerdings auch per Gentest und Speichelprobe. Sponser, der Schweizer Hersteller von Sporternährung, bietet zusammen mit dem Partner INTLAB einen Speicheltest an, mit dem man per Probe seinen Genotyp bestimmen lassen kann. In drei Typen unterteilt, erhält die Testperson die Einstufung samt Anwendungstipps. Unterschieden wird hier zwischen „Fast Caffeine Metabolizer“, „Reduced Caffeine Metabolizer“ und „Slow Caffeine Metabolizer“.
Für alle, die sich selbst an ihr Optimum herantasten wollen, geht es übereinstimmend bei drei Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht los. Gaben von über sechs Milligramm bringen Studien zufolge keine messbare Verbesserung. Ein Mehr führt hier eher zu unerwünschten Nebenwirkungen. Ernährungsexpertin Corinne Reinhard sagt hierzu: „Sehr hohe Koffeinmengen sind aufgrund von Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Herzrasen zu meiden und auch nicht notwendig für einen leistungssteigernden Effekt.“
Dosierung
Ob nun aus Kaffee, Gel mit Zusatz oder in Tablettenform: Die Koffeinquelle ist zweitrangig, solange die Menge stimmt. Allerdings ist diese immer am besten über angereicherte Produkte zu erzielen, weil hier, anders als etwa beim Kaffee, die Milligramm nicht variieren, sondern feststehen. Damit man das Optimum zu sich nimmt, lohnt ein Blick auf die Inhaltsangaben diverser koffeinhaltiger Produkte: Klassische Cola enthält circa 10 Milligramm pro 100 Milliliter, Kaffee kommt (je nach Sorte, Röstung und Zubereitung) auf 60 bis 100 Milligramm pro Tasse und eine 250-Milliliter-Dose Red Bull enthält 80 Milligramm. Bei Energiegels schwankt der Koffeingehalt eines etwa 35 Gramm schweren Sachets recht stark. Bei Sponser sind es 25 Milligramm, bei GU 35 Milligramm, Clif und Powerbar enthalten 50 Milligramm und im Clif „Double Espresso“ sind es 100 Milligramm.
Bei der Dosierung sollte unterschieden werden, wie lang man unterwegs ist und welchen Zweck das Koffein haben soll. Kurzdistanzler sollten auf zwei bis drei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht circa eine Stunde vor dem Rennen setzen. Konkret benötigt ein Athlet mit 75 Kilogramm Körpergewicht und der Dosierung von drei Milligramm also 225 Milligramm, je nach Distanz optimalerweise in einer Portion. Diese Menge über Gel zuzuführen, ist schwierig. Alternativ gibt es fertige Shots, Kapseln oder Tabletten. Sporternährungsexpertin Caroline Rauscher, mit der zahlreiche Profis und Agegrouper zusammenarbeiten, sagt hierzu: „Am einfachsten lässt sich Koffein über Tabletten dosieren.“ Koffeinkapseln und -tabletten gehen bei 50 Milligramm los und können bis zu 200 Milligramm enthalten. Neben der Gabe als eine Dosis zu Beginn ist es auch möglich, Koffein als Boost zum Ende zu nutzen, etwa auf der Langstrecke. Oder als Grundrauschen mit grob 40 Milligramm pro Stunde, was einem angereicherten Gel entspricht.
Kaffee | Cola | Sponser | Red Bull | Power Bar | GU | Clif | |
Koffeingehalt | 60–100 mg Tasse | 10 mg pro 100 ml | 25 mg pro Gel (35 g) | 80 mg pro 250 ml | 50 mg pro Gel (35 g) | 35 mg pro Gel (35 g) | 50 mg pro Gel (35 g) („Double Espresso“ 100 mg) |
Entzug und Abstinenz
Viel diskutiert wird das Ausschleichen von Koffein vor dem Wettkampf, um dann die optimale Wirkung zu erzielen. Dies scheint nach neuestem Stand jedoch gar nicht nötig, da eine Abstinenz nichts bringt außer subjektive Nachteile. Yvonne Forster Nigg von Sponser sagt: „Gut konzipierte Studien zeigten, dass es keine signifikanten Unterschiede der Leistungssteigerung zwischen Koffein-Entwöhnten und Koffein-Anwendern gab. Aus diesem Grund empfehle ich das Koffein-Wash-out nicht mehr.“ In die gleiche Richtung geht auch Caroline Rauscher von NFT-Sport: „Man ist ja landläufig der Meinung, dass Menschen, die nicht an Koffein gewöhnt sind, besser auf die psychostimulative Wirkung reagieren. Diesen Mythos widerlegt eine aktuelle Studie: Der Effekt von Koffein ist nicht größer, wenn man vorher auf Entzug geht.“
Nebenwirkungen
So zahlreich die Vorteile auch sein mögen, ein paar Punktabzüge gibt es für Koffein dann doch. Abhängig von der Dosis können nämlich unterschiedliche Nebenwirkungen auftreten. Und je höher die dann meist ohnehin unnötige Dosis ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit für negative Effekte. Zum Beispiel: Herzrasen bis hin zu Herzrhythmusstörungen, Nervosität und Schwindelgefühle. Gerade Sportler mit Vorerkrankungen oder Problemen in diesen Bereichen sollten vorsichtig mit Koffeinkonsum und vor allem höheren -dosen umgehen. Eine weitere Nebenwirkung sind Verdauungsprobleme. Wie bereits erwähnt, hat Koffein einen Einfluss auf das zentrale Nervensystem, entsprechend kann es auch Auswirkungen auf die Peristaltik des Magens sowie die Motilität des Darms haben. Entsprechend können Durchfälle und Stuhldrang die Folge sein. Außerdem kann Koffein (je nach individuellem Ansprechen) guten Schlaf verhindern und auf den solltest du hinsichtlich der Regeneration immer achten. Zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen solltest du deshalb auf Koffein verzichten, da der Stoff selbst bei schnellem Stoffwechsel dann noch den Schlaf negativ beeinflussen kann. Dr. Golo Röhrken, Sportmediziner, Coach und selbst erfolgreicher Hawaii-Finisher, hierzu: „Ich empfehle meinen Athleten, in der Woche vor dem Wettkampf den Konsum zumindest zu reduzieren. Denn der angenehme Nebeneffekt ist, dass man ganz gut schläft.“
Eine Gefahr sieht Röhrken hingegen im Übertraining, da es passieren kann, dass man „auf Koffein“ nicht auf die körpereigenen Bremssignale hört. „Die Athleten müssen auf jeden Fall darauf achten, dass sie ihre aus dem Training resultierende Ermüdung nicht immer und immer wieder mit Koffein versuchen wettzumachen. Man wird müder und müder und probiert, sich damit wieder nach oben zu bringen. Hier geht einfach nichts an einem Ruhetag vorbei“, sagt der Coach.
Koffein auf der Dopingliste
Bis 2004 stand Koffein ab einem gewissen Grenzwert noch auf der Dopingliste. Häufig resultierten positive Proben dann aus zu viel Kaffeekonsum – so zumindest nicht selten die Argumentation der getesteten Sportler. Die Folge waren lange Rechtsstreitigkeiten, bei denen verschiedene Kaffeeröstungen untersucht wurden, um damit positive Proben nachzustellen. Doch die Überschneidung mit den alltäglichen Koffeinkonsumgewohnheiten war einfach zu groß. Fakt ist: Seitdem Koffein von der Liste der verbotenen Stoffe verschwunden ist, stieg die Zahl der koffeinhaltigen Produkte in der Sporternährung deutlich an. Yvonne Forster Nigg sagt hierzu: „Es wurde gezeigt, dass moderate Dosierungen von zwei bis drei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht leistungssteigernd wirken. Höhere Dosierungen bringen keine zusätzlichen Leistungssteigerungen, erhöhen ab einer Dosierung von sechs Milligramm aber das Risiko von Nebenwirkungen. Infolgedessen schreibt das Internationale Olympische Komitee (IOC) eine zulässige Grenze von zwölf Mikrogramm Koffein pro Milliliter Urin vor. Dies würde eine Koffeindosierung von neun bis 13 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht entsprechen und weit über der empfohlenen Dosierung liegen. Die World Anti-Doping Agentur (WADA) betrachtet Koffein jedoch nicht als verbotene Substanz, da sich auch durch natürliche Lebensmittel ein hoher Konsum relativ einfach bewerkstelligen lässt. Dennoch wird die Koffeinkonzentration im Harn erfasst, um die aktuelle Verwendung von Koffein systematisch zu untersuchen.“
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit nicht mehr als 400 Milligramm täglich empfiehlt. Aber selbst für Schwangere gilt laut Bundesinstitut für Risikobewertung eine Gesamtmenge von 200 Milligramm Koffein pro Tag als unbedenklich.
Fazit
Alle Experten, mit denen wir sprachen, waren sich in zwei Dingen einig: zum einen, dass Koffein bei den meisten Sportlern in mehrfacher Hinsicht zu einer deutlichen Leistungsverbesserung führe. Zum anderen wiesen alle mehrfach darauf hin, dass es wichtig sei, sich als Athlet an seinen persönlichen Wohlfühl- und Wirkungsbereich heranzutasten, nicht wesentlich über die immer wieder genannten drei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu gehen und bei Unverträglichkeit oder gar einem Nichtansprechen aus sportlicher Hinsicht auch darauf zu verzichten. In diesem Fall solle man Kaffee oder andere koffeinhaltige Getränke wie das Gros der Bevölkerung lediglich im Alltag konsumieren. Vorausgesetzt, es schmeckt einem.
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