Let’s go long

Wenn du diese Zeilen liest, bist du höchstwahrscheinlich längst mit dem Triathlonvirus infiziert – Heilung ausgeschlossen. Bei den meisten Triathleten wächst früher oder später der Wunsch, sich der ganz großen Herausforderung im Wettkampf zu stellen und eine Lang­distanz zu absolvieren. Dieser Wunsch kann sogar ausschlaggebend dafür sein, überhaupt mit dem Dreikampf zu beginnen. Aus eigener Kraft 226 Kilometer im Wasser, auf dem Rad und in Laufschuhen hinter sich zu bringen, erscheint zunächst unvorstellbar – doch genau das befeuert die Faszination umso mehr. 

Optimale Voraussetzungen

Es soll vorkommen, dass große sportliche Ziele und die Anmeldung für das entsprechende Event aus einer Laune heraus entstehen oder als Wetteinsatz gehandelt werden. Es soll auch vorkommen, dass das dann besser klappt als gedacht und der erste Triathlon des Lebens im Rahmen einer Langdistanz stattfindet. Zu empfehlen ist es nicht, jedenfalls nicht pauschal. „Wer schon seit 20 Jahren Marathon läuft oder generell in einer der drei Disziplinen sehr aktiv ist, kann eine Langdistanz bestimmt ohne Vorerfahrung im Triathlon schaffen. Ich würde es trotzdem immer lieber langsam und bedacht, nicht zu früh und zu schnell angehen“, sagt Mario Schmidt-Wendling. Der Triathloncoach betreut neben Profiathleten wie Daniela Bleymehl zahlreiche Agegrouper und hat bereits viele von ihnen zum erfolgreichen Langdistanzfinish geführt. Wer komplett neu in den Triathlon einsteigt und mit einer Langdistanz liebäugelt, sollte sich für diesen Prozess einen Zeitraum von mindestens vier Jahren vornehmen. Der Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System sind dabei weniger das Problem, denn beides passt sich schnell an steigende Umfänge an. Beim sogenannten passiven Bewegungsapparat, vor allem bei Sehnen und Bändern, sieht es anders aus. Sie reagieren verzögert auf hohe orthopädische Belastungen, wie sie beim Laufen entstehen. Dadurch ist das Risiko einer Verletzung unnötig erhöht. „Man weiß vorher nicht, wie der Sportler auf hohe Trainingsumfänge reagiert. Deshalb beginnt der Weg zur Langdistanz bestenfalls mit dem Einstieg auf der Kurzdistanz und man arbeitet sich schrittweise heran. Im zweiten Jahr kann man sich dann schon eine Mitteldis­tanz vornehmen, im dritten zwei und beispielsweise zum Saisonende noch einen Marathon laufen“, sagt Schmidt-Wendling. Letzteres sei jedoch keinesfalls ein Muss und ein Debüt über die 42,195 Kilometer könne auch im Rahmen des Wettkampfs absolviert werden. Von einer so langfristigen Vorbereitung kannst du nur profitieren: Du lernst deinen Körper dabei besser kennen, wissen, welche Trainingsgestaltung gut funktioniert und wie du bestimmte Inhalte verkraftest. Kontinuierlich aufgebaute Trainings- und Wettkampferfahrung im Triathlon hilft dir am meisten dabei, das größte aller Ziele anzugehen. Die wichtigsten Voraussetzungen für eine Langdistanz seien jedoch weniger sportlicher Natur, sagt Mario Schmidt-Wendling. „Eine Langdistanz sollte man als Projekt verstehen und dafür müssen die äußeren Umstände stimmen.“ Das heißt im Klartext: Mit einem Egotrip wird es nichts. Hole dir deinen Partner oder deine Partnerin mit ins Boot, ebenso wie deine Familie und den Freundeskreis. Abhängig davon, wie flexibel du deine Arbeitszeiten gestalten kannst, schadet es außerdem nicht, auch deinen Arbeitgeber über dein Vorhaben in Kenntnis zu setzen. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine Langdistanz kein Kindergeburtstag ist und man durchaus ein paar Opfer bringen muss. Wenn man nur irgendwie versucht, das Training in den Tag zu pressen und dafür nur noch fünf oder sechs Stunden schläft, funktioniert das nicht“, warnt der Coach. Respekt vor der bevorstehenden Aufgabe zu haben, ist nicht verkehrt, jedoch darf eine ebenso große Portion Selbstbewusstsein dabei sein. „Das Schöne am Langdistanztraining ist: Man braucht eigentlich kein besonderes sportliches Talent, sondern in erster Linie Disziplin und eine gesunde Arbeitseinstellung“, so Schmidt-Wendling. Kontinuität und nahezu tägliches Training seien die Grundvoraussetzungen, die du deinem Ziel ein gutes Stück näherbringen.


Mit einer kontinuierlichen und langfristigen Vorbereitung stehen die Chancen gut, dass du am Renntag nur noch mit Victoryzeichen unterwegs sein willst.

Der Plan für den Tag X

Wenn du auf eine „klassische“ Triathlonlaufbahn zurückblicken und bereits den Weg über die Kurz- und Mitteldistanz gegangen bist, steht dem nächsten Projekt fast nichts mehr im Wege. „Wer schon eine Mitteldistanz gemacht hat, kann sich eine Langdistanz vornehmen und sollte dafür ungefähr ein Jahr Vorbereitungszeit einplanen“, rät Mario Schmidt-Wendling. Mach dir keine Sorgen, dass du für die doppelte Distanz auch den doppelten Trainingsaufwand benötigen. „Das ist ein Trugschluss“, sagt der Coach. „Das Training zwischen Mittel- und Langdistanz unterscheidet sich bei Agegroupern kaum, höchstens in der Dauer des langen Laufs und der Radeinheiten. Ausgehend von einem Langdistanztermin Ende Juni oder Anfang Juli kannst du deinen Saisonverlauf mit einigen Zwischenstationen nun rückwärts planen. Vier bis fünf Wochen vor dem großen Highlight ist eine Mitteldistanz ideal. Diese dient als Generalprobe, bei der du deine Form, das Equipment und die Rennverpflegung einer letzten Belastungsprüfung unterziehen können. Bestenfalls steht vor der Mitteldistanz noch eine olympische Distanz im Kalender. Sie soll dir dabei helfen, die Abläufe zu automatisieren und vielleicht auch aus dem einen oder anderen Fehler zu lernen. Wer mag, kann als Saisoneinstieg im Frühjahr noch einen Halbmarathon laufen, um in den harten Wintermonaten im Training eine kurzfristige Perspektive zu haben, mit der du die Spannung und Motivation aufrechterhalten können. „Mehr Wettkämpfe würde ich in der Vorbereitung nicht empfehlen, denn die Wochenenden braucht man, um die wichtigen Radkilometer zu sammeln“, sagt Schmidt-Wendling. Zu Beginn der kompletten Planung solltest du ein realistisches Ziel für sich formulieren – und dir dabei nicht zu viel vornehmen. „Bei der ersten Langdistanz würde ich jedem empfehlen, sich von Zeitzielen komplett freizumachen. Der Renntag ist dann eine Art Erntedankfest, bei dem man sich für das monatelange harte Training belohnt“, so der Coach. Im Zuge der Vorbereitung wirst du automatisch eine Orientierung bekommen, auf welche Einzel­splits und Zielzeit es letztlich hinauslaufen könnte, und diese Orientierung ist natürlich sinnvoll, um den Renntag zu planen.

Checkliste

Erfahrung

Um sich auf längere Distanzen zu wagen, solltest du bereits mehrere Jahre Triathlon­erfahrung auf der Kurz- und Mitteldistanz mitbringen. So stellst du sicher, dass du die hohe Trainingsbelastung verträgst. Für routinierte Marathonläufer kann auch ein Quereinstieg möglich sein.

Trainingszeit

In der Vorbereitung musst du viel Trainingszeit aufbringen: Durchschnittlich zehn bis zwölf Wochenstunden sollten es sein. Das heißt natürlich, dass phasenweise auch mal deutlich mehr auf dem Programm steht.

Umfeld

Nimm Partner, ­Familie und Freunde mit auf ­deinen Weg. Ohne diese Unterstützung wird es für dich sehr schwer, das Projekt zu realisieren, denn das Training wird einen Großteil der Freizeit bestimmen. Vielleicht kannst du die Unterstützung nach Abschluss deines Projekts zurückgeben? 

Fokus

Ja, eine Langdistanz erfordert Disziplin – jedoch keine Askese. Bewahre dir den Spaß am Training und freue dich auf das Rennen. Es muss nicht perfekt sein.

Zielsetzung

Selbst wenn du hoch motiviert bist, solltest du dir keine zu hohen und womöglich unrealistischen Ziele setzen. Die Zielzeit ist beim Debüt zweitrangig. Wenn du gut vor­bereitet bist, wirst du einen tollen Renntag haben. 

Schwerpunkte setzen


Lachen nicht vergessen: Beim Wettkampf belohne dich für die harte Arbeit der Monate zuvor.

Von deinem formulierten Ziel sind zum Teil auch deine Trainingsinhalte abhängig. Mache es dir hierbei jedoch nicht zu kompliziert – vor allem, wenn du vor der Premiere über die 226 Kilometer stehst. „Ich würde den Schwerpunkt ganz klar auf das Radfahren setzen“, empfiehlt Schmidt-Wendling. „Es nimmt die meiste Zeit beim Training in Anspruch und hat schließlich auch den größten Einfluss auf das Endergebnis.“ Ein weiteres Plus: Eine starke Performance auf dem Rad wird sich vorteilhaft auf die Laufleistung auswirken, weil du mit einer geringeren Ermüdung in die dritte Disziplin starten können. Zudem sei mit Synergieeffekten hinsichtlich der Grundlagenausdauer zu rechnen, ohne dabei die orthopädische Belastung zu erhöhen, so der Coach. Auf die Grundlagenausdauer solltest du dich im Training besonders konzen­trieren, denn was du am längsten Tag des Jahres brauchst, ist ein möglichst geringer Kohlenhy­dratverbrauch. „Kontinuierliches Grundlagentraining führt dazu, dass sich der Sportler immer einigermaßen frisch fühlt und sich nicht an seiner persönlichen Belastungsgrenze bewegt. Das muss sicherlich auch mal sein, sollte aber kein Dauer­zustand werden.“ Zu hartes Training kann im schlimmsten Fall nicht nur zu Überlastungen führen, sondern auch dazu, dass du dich bis zum Wettkampf nicht richtig erholst und du diesen nicht mehr genießen kannst. Die Erholung spielt in der Langdistanzvorbereitung eine entscheidende Rolle und dein Bedürfnis danach wird sich womöglich von deinen bisherigen Erfahrungen unterscheiden. Achte neben einer ausgewogenen Ernährung auf ausreichend Schlaf und versuche, Stress im Alltag zu reduzieren. Das wird umso wichtiger, je näher der Wettkampf rückt, und kann bedeuten, dass du bei Aktivitäten abseits des Trainings zeitweise kürzertreten musst. Dennoch solltest du dir stets den Spaß am Sport bewahren und nicht verbissen an die Sache herangehen. Erinnere dich daran, dass die Langdistanz ein Projekt ist. Ein Projekt, das Mut und Disziplin erfordert, jedoch keine unlösbare Aufgabe darstellt. Gepaart mit der nötigen Lockerheit und Neugier kannst du dich ins Abenteuer stürzen.

Facts

> Der Wechsel aufeine längere Dis­tanz stellt Triathleten vor unterschiedlich große Herausforderungen. Wer nach der Kurz- eine Mitteldistanz absolvieren will, kann dies mit ein wenig Mehraufwand (vor allem auf dem Rad) tun. Für eine Langdistanz ist dieser noch einmal deutlich höher und nimmt viel Zeit in Anspruch.

> Der Fokus des Trainings liegt auf der Grundlagenausdauer und vor allem beim Laufen gilt: Weniger ist mehr. Versuche nicht, ein Marathontraining im Rahmen einer Langdistanzvorbereitung zu absolvieren. Vom Training auf dem Rad und im Wasser wirst du auch in der dritten Disziplin profitieren, ohne eine Überlastung zu riskieren.

> Die Regeneration ist Ihnen heilig! Achte auf viel Schlaf sowie eine ausreichende und ausgewogene Ernährung, um die Akkus zwischen den Trainingseinheiten aufzuladen.

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