Müde Knochen

Jan Frodeno, Andreas Raelert, Nils Frommhold – sie alle eint, dass jeder von ihnen in seiner Karriere mindestens einen Ermüdungsbruch erlitten hat, der eine mehrwöchige Trainingspause nach sich zog und das eine oder andere Saisonhighlight in den Hintergrund rücken ließ. Doch es sind keineswegs nur Profis betroffen. Auch ambitio­nierte Hobbysportler erleiden immer wieder Ermü­dungsbrüche und müssen die Saisonplanung daraufhin umkrempeln.

Warnzeichen erkennen

„Die meisten Athleten suchen leider viel zu spät einen Arzt auf und ignorieren die ersten Symptome“, sagt Dr. Wolfgang Schillings. Der 51-Jährige ist Sportmediziner und betreut im Athleticum der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf nicht nur die Fußballprofis des Hamburger SV, sondern auch zahlreiche Triathleten. „Das wichtigste Alarmzeichen ist ein belastungsabhängiger Schmerz“, so Schillings. Anders als bei meist unproblematischen Muskel- oder Gelenkschmerzen, die oft mit einem intensiven Trainingsplan oder hohen Umfängen einhergehen, sei dieser Schmerz punktuell. Der Mediziner unterscheidet verschiedene Phasen: „Gerade im Anfangsstadium treten die Beschwerden nur während der Belastung auf und der Schmerz kann durch Druck auf die betroffene Stelle ausgelöst werden. Wenn man das länger ignoriert, kann sich auch ein Ruheschmerz ausbilden.“

Ein Ermüdungsbruch entwickelt sich meist über einen relativ langen Zeitraum, da es sich um eine Überlastungsreaktion des Körpers handelt. Deshalb spricht man auch von einer Stressfraktur. Hier werden die Unterschiede zu einem klassischen Bruch deutlich. Diesem geht immer eine traumatische Belastung voraus und die Fraktur tritt akut auf. „Bei einem normalen Bruch würde wahrscheinlich niemand die Schmerzen hinterfragen, weil sie so plötzlich und stark auftreten“, weiß ­Schillings. Auch hinsichtlich der Diagnostik ist ein Ermüdungsbruch weniger eindeutig.

Auf einem Röntgenbild ist ein Ermüdungsbruch oft nicht sichtbar. Gelegentlich schon, jedoch nur in einem bereits sehr fortgeschrittenen Stadium.

Dr. Wolfgang Schillings

Der Grund dafür ist, dass der Knochen nicht komplett durchgebrochen, sondern von feinen Haarrissen durchzogen ist. Sichtbar werden diese nur im MRT, welches nach eingehender ärztlicher Untersuchung angeordnet wird.

Risikofaktoren vermeiden

„Häufig kommt ein Ermüdungsbruch bei Menschen zwischen 30 und 50 Jahren vor, letztendlich kann es aber alle treffen“, berichtet Schillings aus seinen Erfahrungen. Das Gros der Verletzungen, so die Beobachtungen, tritt im Zuge von Laufbelastungen auf – sei es beim Laufsport an sich, im Triathlon oder auch in laufdominanten Spielsportarten. Die gute Nachricht ist: Das Alter oder die Wahl der Sportart haben keinen direkten Einfluss auf die Entstehung einer Stressfraktur und die größten Risikofaktoren lassen sich ausschalten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Steigerung des Trainingsumfangs. Wer sich in kurzer Zeit zu viel zumutet, gibt relativ passiven Strukturen wie Knochen oder auch Sehnen keine Gelegenheit, sich anzupassen und Verletzungen sind programmiert. Wenn ihr einen Marathon oder eine Langdistanz absolvieren wollt, solltet ihr bereits einige Jahre Erfahrung in der Sportart gesammelt und dadurch ein ausgeprägtes Körpergefühl entwickelt haben. Ein vernünftiger Agegrouper-Trainingsplan sieht außerdem eine wöchentliche Steigerung von maximal zehn Prozent vor, um Überlastungen zu vermeiden. Schillings zählt noch weitere Faktoren auf: „Ein gegebener ­Risikofaktor ist beispielsweise eine Fehlstellung der Beine oder der Füße. Diesbezüglich helfen entsprechende Stabilisationsübungen und gegebenenfalls individuell angepasste Einlagen.“ Ein weiterer Punkt, den der Mediziner für sehr wichtig hält, ist das hormonelle Gleichgewicht: „Wenn hormonelle Störungen vorliegen, ist die Knochenstruktur nicht ausreichend ausgeprägt. Schlimmstenfalls kann sich bereits eine Osteoporose entwickelt haben.“ Dieser Aspekt betreffe häufiger Frauen. „Männer ziehen sich einen Ermüdungsbruch eher zu, weil sie zu viel in zu kurzer Zeit trainieren“, sagt Schillings mit einem Schmunzeln.

Wichtige Hormone

  • Geschlechtshormone: Für stabile Knochen ist besonders das weibliche Geschlechtshormon ­Östrogen von großer Bedeutung. Bei Frauen mit hohen Trainingsumfängen, unzureichender Ernährung oder in den Wechseljahren liegt häufig ein Mangel vor. Ohne eine Hormonersatztherapie führt das Ausbleiben der Periode zu einem Verlust an Knochendichte.
  • TSH, T3, T4: Die Hormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) werden in der Schilddrüse gebildet. Ihre Ausschüttung wird von der Hirnanhangsdrüse gesteuert, die zunächst das stimulierende Hormon TSH freisetzt. Schilddrüsenhormone haben einerseits einen direkten Einfluss auf den Knochenstoffwechsel, an­dererseits besteht eine Wechselwirkung zu Sexualhormonen (siehe oben).

Wiedereinstieg

Was tun, wenn es passiert ist? Auch hier gibt es eine gute Nachricht – anders als bei einer normalen Fraktur müsst ihr bei einem Ermüdungsbruch meist keinen Gips tragen oder gar im Rollstuhl sitzen. Druck- und Stoßbelastungen für die betroffene Region müssen allerdings auf jeden Fall vermieden werden. „Das Allerwichtigste ist eine Laufpause“, erklärt Wolfgang Schillings. „Dann kommt es darauf an, wo die Verletzung lokalisiert und wie stark sie ausgeprägt ist.“ Unter Umständen müssen Unterschenkel oder Fuß, wo Ermüdungsbrüche meistens auftreten, komplett ruhig gestellt werden. Man müsse mit etwa sechs Wochen Heilungsdauer rechnen. „Während der Heilungsphase kann aber durchaus Sport gemacht werden, beispielsweise Schwimmen und alles, was die betroffene Struktur nicht belastet“, beruhigt Schillings. Der Wiedereinstieg sollte extrem kontrolliert und behutsam aufgebaut werden: „Macht nicht da weiter, wo ihr aufgehört habt. Beginnt auf jeden Fall auf einem niedrigeren Level.“ Eure Fitness wird auch auf diese Weise schnell wieder auf dem alten Niveau sein. Überfordert euch nicht und hört auf euren Körper, dann müsst ihr euch mit diesem Thema gar nicht erst auseinandersetzen.

Vitaminanalyse

  • Vitamin D3 ist essenziell für die Knochengesundheit. Es kann kaum über die Nahrung aufgenommen werden, sondern wird durch Sonnenlicht vom Organismus synthetisiert. Die Menge reicht für einen adäquaten Knochenschutz jedoch kaum aus. In hiesigen Breitengraden tun deshalb insbesondere Sportler gut daran, es als Nahrungsergänzungsmittel aufzunehmen.
  • Vitamin K2 ist sozusagen der beste Freund des Vitamin D3. Es optimiert dessen Aufnahme und sorgt dafür, dass es an den richtigen Stellen ankommt, also im Knochen eingelagert wird. In ­einigen Nahrungsergänzungsmitteln sind D3 und K2 bereits kombiniert enthalten.
  • Calcium, Kalium, Magnesium sind Futter für den Knochen. Diese Elektrolyte können ausreichend über die Nahrung aufgenommen werden und sind beispielsweise in Milchprodukten, Hülsenfrüchten, Bananen, Sojaprodukten und Getreide enthalten.
  • Omega-3-Fettsäuren spielen insbesondere im Hormonhaushalt eine wichtige Rolle und ­haben somit auch einen Einfluss auf die Knochengesundheit. Außerdem wirken sie entzündungshemmend. Omega 3 liegt in relevanten Mengen und einer optimal verwertbaren Form in fettem Fisch (z. B. Lachs) vor. Pflanzliche Quellen liefern hauptsächlich eine Vorstufe davon (Alpha-Linolensäure/ALA), die erst im Körper konvertiert werden muss. Eine Supplementation ist sinnvoll, wenn ihr nicht viel Fisch esst.

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