Nur keine Panik: Strategien gegen Angst im Wettkampf

Unruhe, Zittern, Herzrasen, vermehrtes Schwitzen, Schlaflosigkeit. Kein Zweifel: Der Wettkampf rückt näher, Anspannung macht sich breit, die sich bis zur Angst ausweiten kann. Wer sich darin wiederfindet, sollte unter Umständen an seinem Mindset arbeiten. Ein simples Wort, das das Zusammenspiel von innerer Haltung, Denkweise, Überzeugung und Verhaltensmustern zusammenfasst. Die beschriebene Wettkampfangst kann jeden Athleten befallen, ob Age­grouper oder Profi, ob Routinier oder Anfänger. Aber keine Panik: Es gibt Wege aus den Gedanken und dem immer wiederkehrenden Gefühl von Unsicherheit, Selbstzweifeln und Gelähmtheit vor dem Startsignal. Wir zeigen, wie es funktionieren kann.

Eine Grunderregung ist erwünscht

Zur Beruhigung sei vorab verraten: „Nahezu jeder Sportler, ob Profi oder Amateur, kennt dieses Gefühl. Aber es ist sehr diffus, wie ausgeprägt es ist und wie es sich äußert. Eine Grunderregung vor dem Wettkampf, bei der man das Adrenalin spüren kann, ist ­total gesund, um seine Leistung abzurufen“, betont Diplompsychologe Stefan Westbrock von deepvelop in Hamburg, der als Mentaltrainer für Profisportler und Amateure tätig ist. Wettkampfangst sei quasi nichts anderes als Lampenfieber.

Eines sollte man sich derweil bewusst machen: Wissenschaftliche Studien belegen, dass der Mensch pro Tag circa 60.000 Gedanken fasst. Das sind 60.000 kleine oder große Geschichten in verschiedenen Variationen. Die Geschichte vom anstehenden Wettkampf befindet sich darunter. Nur drei Prozent unserer Gedanken sind allerdings positiv. Die Auswirkungen lassen sich erahnen: Gedanken bestimmen unser Handeln und Verhalten.
Warum aber ist der Großteil der Gedanken negativ? Der Mensch sucht neben seinem Instinkt, zu überleben – dazu kommen wir noch –, stets nach Bestätigung. Die lässt sich leichter erreichen, wenn wir ­einen negativen Gedanken fokussieren und ­un(ter-)bewusst nach der Methode der Self Fulfilling Prophecy später sagen können: „Ich habe es doch gewusst.“ So programmiert sich der Mensch unbewusst auf dieses Fehlverhalten. Verstärkt wird das dadurch, dass wir permanent auf Fehler und Defizite fokussiert werden. Bereits in der Schule geschieht das dadurch, dass Fehler anstelle von korrekt erfüllten Aufgaben hervorgehoben werden. Auch im Sport werden häufig die Fehler in Bewegungsabläufen oder im Verhalten deutlicher angesprochen als richtig absolvierte Übungen. Ausnahmen unter Lehrern und Trainern bestätigen die Regel.

Bedürfnis nach Sicherheit

Bevor wir auf Lösungsstrategien gegen Angst blicken, lohnt es sich zunächst zu verstehen, warum es überhaupt zu diesem Phänomen kommen kann. Einfache Erklärung: Der Mensch hat ein angeborenes Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Unbekannte Situationen stoßen erst einmal auf eine innere Skepsis. Die lässt sich nicht abschalten, denn sie ist ein evolutions­bedingter Schutzmechanismus, um das eigene Überleben zu sichern. Angst ist also eine natürliche Reaktion auf Gefahren und bereitet den Körper auf die Kampf-Flucht-Reaktion vor. „Fight or Flight“ – ein Urinstinkt, der eine der beiden Handlungen auslöst.

Dabei muss man zwischen verschiedenen synonym für Angst verwendeten Begriffen differenzieren. Kommt es zur einfachen Erregung, beobachtet man vor allem physiologische Reaktionen wie feuchte Hände, Unwohlsein, Herzrasen, Zittern. Die Erregung ist jedoch erst im Zusammenhang mit emotionalen Zuständen wie ­Ärger, Freude oder eben Angst ein­zuordnen. Angst ist also eine mentale, emotionale Reaktion, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt. Die kognitive, wie besorgniserregende Gedanken, drückt die Art der Angst aus: vor einer Disziplin, einer Niederlage oder einem Konkurrenten. Die somatische Komponente, wie die Erregung, drückt die Intensität der Angst aus, die darüber hinaus in Form eines Zustands oder einer Persönlichkeitseigenschaft auftreten kann. Zustandsangst beschreibt einen vorübergehenden emotionalen Zustand, der durch subjektive Gefühle der Befürchtung und Anspannung charakterisiert wird und sich im Laufe eines Wettkampfs ändern kann – abhängig von den Gedanken (kog­nitive Komponente) und der Erregung (somatische Komponente) eines Athleten. Wie ängstlich jemand grundsätzlich ist, bestimmt derweil die individuelle Neigung, etwas als bedrohlich wahrzunehmen.
Transferiert auf Triathlon lässt sich aus diesen Voraussetzungen ableiten, dass die Gefahr für das Selbstwertgefühl des Athleten, aber auch die Unvorhersagbarkeit eines Wettkampfs oder die starke Konkurrenz Ängste hervorrufen können. Jedes Rennen bietet andere Bedingungen. Nicht zu wissen, was einen erwartet, ist ein Trigger, der die Skepsis gegenüber dem Unbekannten so groß werden lassen kann, dass negative Gedanken und dadurch individuelle Ängste entstehen können. Der Schriftsteller Erich Kästner hat passend dazu gesagt: „Wer keine Angst hat, besitzt keine Fantasie.“ Sport ist eben Kopfsache.

Start ins Ungewisse: Evolutions­bedingt ist der Mensch unbekannten Situationen ­gegenüber skeptisch. Daraus kann die Wettkampfangst resultieren.

Angst sollte nicht verdrängt werden, darf allerdings nicht zum bestimmenden Faktor werden. „Man sollte sich nicht zu sehr damit beschäftigen. Als Athlet sollte ich es eher schaffen, dahin zu kommen, dass ich mit so viel Spaß wie nötig und auch möglich in einen Wettkampf gehe. Ich nehme ja in den meisten Fällen ­daran teil, weil ich es möchte, nicht, weil ich muss“, betont Stefan Westbrock. Wie viel Angst vorherrschen darf, bevor sie die Gefühlslage bestimmt, ist wie so vieles individuell – und erfordert eine gute Selbstwahrnehmung. „Einige Sportler benötigen mehr von dem Erregungszustand, andere weniger“, sagt Westbrock. „Es gibt dabei eine Range, in der es sich gut und gesund anfühlt. Man darf sich das also nicht als Schwarz-Weiß-Situation vorstellen. Es ist ein fließender Übergang.“ Wie aber lässt sich die Wettkampfangst besiegen, wenn sie überhandnimmt? Die Ansätze können sowohl die somatische als auch die kognitive Komponente betreffen.

Das Wichtigste: positiv bleiben und das Gefühl akzeptieren. Das ist kein neuer Ansatz, aber der effektivste. Angst ist, was du daraus machst. Wer sich dessen bewusst wird, hat den ersten Schritt getan, sie zu besiegen. Auch der Trainer kann helfen, Wettkampfangst zu erkennen und zu benennen, er hat womöglich einen objektiveren Blick darauf als der Athlet. „Angst ist kein Ratgeber, um etwas sein zu lassen“, betont Westbrock. Um die Negativspirale auszuhebeln, muss sich der Athlet bewusst dazu entscheiden, positiv zu formulieren und trainieren, positive und zielführende Gedanken zu entwickeln. Werde dir deiner Fähigkeiten bewusst und benenne, was du erreichen möchtest. Stefan ­Westbrock: „Man sollte grundsätzlich mit einer positiven, aber auch realistischen Zielsetzung in den Wettkampf gehen.“ Dabei rät der Mentaltrainer davon ab, seine eigenen Ansprüche herunterzuschrauben, um sich weniger unter Druck zu setzen. „So gebe ich der Angst nach. Es geht allerdings darum, zu bestehen und die Techniken zu beherrschen, um seine realistischen Ziele zu erreichen.“
Sich nur auf sich selbst zu konzentrieren, kann helfen, andere einschüchternde Faktoren auszublenden. Konzentriert man sich dabei auf einfache Feedbackregeln, die auf positive Ergebnisse abzielen, kann die eigene Leistungsbewertung und Wahrnehmung positiv verändert werden. Das, was im Training idealerweise über Dutzende von Einheiten einstudiert wurde, wird einfach abgerufen. In diesem Zusammenhang hängt die positive oder negative Wahrnehmung der Angst auch von der individuell wahrgenommenen Kontrolle über die Situation ab. Diese mentale Komponente ist der schwierigste und langwierigste Schritt, da man die tief verwurzelten negativen Denkmuster loswerden muss, die unbewusst das tägliche Handeln bestimmen. Mit dem Bewusstwerden dieser Gedanken, etwa durch Medita­tion, können Kraft und Häufigkeit negativer Gedanken nachlassen.

Eine effektive Art, mit der Angst umzugehen, sind Rituale und Handlungsgewohnheiten. Sie können kurzfristiger angewendet werden, bringen Stabilität und Sicherheit und können die Intensität sowie Interpretation der Angst (positiv oder negativ) positiv beeinflussen. Wenn man also wie die ehemalige Leistungsschwimmerin Britta Steffen einen Ring am Finger dreht, bevor der Wettkampf beginnt, ist das eine Bewältigungsstrategie gegen die Angst. Ein Ritual, das leistungsstabilisierend ist. Dazu kann auch der lieb gewonnene Race Suit gehören oder die Glückssocken, mit denen das Finish bisher noch immer geklappt hat.

Um die physischen Symptome in den Griff zu bekommen und so die Intensität der Wettkampfangst – oder Anspannung – abzuschwächen, sind ebenfalls gängige Entspannungstechniken geeignet, wie ­Atemübungen, progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, verschiedene Formen von Biofeedback oder auch Yoga. Damit sei die Palette an kurzfristigen Rettungsfallschirmen allerdings ausgeschöpft, so Westbrock. „Der Schlüssel für die richtige Dosis des Erregungszustands liegt auch in einer typgerechten Vorbereitung, schon Tage vor dem Wettkampf“, erklärt der Mentaltrainer. „Gesellige Typen finden Ablenkung, Ruhe und Sicherheit beispielsweise in einer Gruppe, mit der sie sich austauschen können. Wer lieber für sich bleibt, sollte das tun. Ansonsten fühlt er sich in einer Gruppe durch möglicherweise zu viel zur Schau getragenem Selbstbewusstsein eingeschüchtert und unter Druck gesetzt.“

Geplant werden sollten auf jeden Fall der Abend und der Morgen vor einem Wettkampf. Routine und genaue Abläufe bringen die Sicherheit, die der Kopf evolutions­bedingt verlangt. Wer trotz allem seine Wettkampfangst nicht in den Griff bekommt, kann einen Spezialisten wie einen Mentaltrainer zurate ziehen. „Über sich ­hinauszuwachsen, das lässt sich trainieren. Es geht darum, in eine Aufwärtsspirale zu kommen, um etwas zu erreichen, was man vorher nicht konnte“, so Westbrock. Für ­einen Mentaltrainer sollte man 100 bis 150 Euro pro Sitzung einplanen. Nach drei bis fünf Sitzungen sollten deutliche Fortschritte erkennbar und das Mindset in wettkampf­fähiger Verfassung sein.

Strategien

Erinnere dich, wann du das letzte Mal eine Topleistung erzielt hast. Notiere die fünf ­wichtigsten Details, die du mit diesem Erfolg assoziierst. So rückst du positive Parameter in dein Bewusstsein und schaffst die Grundlage für ein positives Mindset vor dem nächsten Wettkampf.

Atme langsam und bewusst. Diese Strategie lässt sich direkt vor dem Wettkampf absolvieren. Konzentriere dich auf dich und nimm eine bequeme Haltung im Sitzen, Stehen oder Liegen ein. Atme tief und gleichmäßig durch die Nase ein und durch den Mund aus. Beim ersten Ausatmen Gesicht und Hals, dann Schultern und Arme, anschließend Brust, Bauch und Rücken, dann Beine und Füße und schließlich den ganzen Körper lockern. Wiederhole die Übung so lange wie nötig und beim Ausatmen das Mantra: ­„Entspanne dich“.

Bleib konzentriert. „Druck ist ein Privileg.“ Das sagt der dreifache Ironman-Weltmeister Jan Frodeno. Wer mit Druck nicht so gut umgehen kann, sollte ihn aus seinem sportlichen Alltag verbannen. Blende alles aus und konzentriere dich auf dich. Die Konkurrenz zählt nicht. Jeder Athlet hat andere Voraussetzungen, sodass ein Vergleich mit anderen am Tag X keinen Sinn ergibt. Deine Leistung muss lediglich an den Umständen gemessen werden, in denen du dich befindest.

Stopp! Schließe die Augen und stelle dir ein überdimensionales Stoppschild vor. Konzentriere dich auf dieses Bild, halte es einige ­Sekunden fest und atme ruhig ein und aus, während du die negativen Gedanken zusammen mit dem Stoppschild verschwinden lässt. Anschließend formulierst du eine positive Botschaft an dich selbst. Diese Methode kann vor und während eines Wettkampfs herangezogen werden – unter Sicherheitsaspekten allerdings eher nicht auf dem Rad.

Positive Stimmung. Die negativen Gedanken wollen nicht verschwinden? Dreh den Spieß bewusst um. Vermeide Formulierungen, die negativ belastet sind und nutze stattdessen Sätze, die dem Gehirn unter­bewusst helfen, eine positive Stimmung zu kreieren. „Das Wasser ist aber kalt“ ersetzt du etwa durch: „Sehr schön, heute darf ich mit Neo schwimmen.“

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