Richtig Druck machen: Nerdwissen zum Thema Reifendruck

Der Trend geht auch im Triathlon zum Breitreifen. 23 Millimeter, vor ein paar Jahren noch Standard, sind heute schon ziemlich schmal. Einhergehend damit lohnt sich auch der Blick auf den richtigen Druck im Reifen. Wie weit man hier gehen kann, haben wir näher beleuchtet. Und interessanterweise ist in diesem Fall weniger oft mehr.

Altgediente Triathleten werden sich noch erinnern: an das Paar Wettkampfreifen, das nur am Tag X an das Rad kam, oft als Schlauchreifen auf die speziellen Laufräder geklebt. Die wurden dann auf Teufel komm raus knallhart aufgepumpt, wozu jeder seine eigene Standpumpe mit in die Wechselzone trug. Zehn Bar und mehr waren hier angesagt und bei manchen hatte man das Gefühl, dass sie mit den Reifen auch schnell noch Druck in ihre Oberschenkel pumpen wollten – den einen oder anderen Reifenplatzer noch vor dem Startschuss inklusive. Dünn und hart versprach hierbei zumindest das Gefühl von Geschwindigkeit. Allerdings musste man in den Kurven aufpassen, dass man diese auch bekam. Vor allem, wenn es nass wurde. Der Grip blieb dabei nämlich schnell auf der Strecke. Vom Fahrkomfort ganz zu schweigen. Behalte diese zweistelligen Werte und die Protagonisten mit der Standpumpe für das Folgende mal im Hinterkopf. Denn wer das Maximum aus seiner Maschine herausholen will, muss sich von Pauschalempfehlungen und Hochdruck verabschieden.

Stand der Technik

Mittlerweile sind Schlauchreifen nur noch etwas für Nostalgiker und mit dem hohen Druck im Reifen ist es bereits seit Jahren zumindest offiziell vorbei. Moderne Carbonfelgen haben ihr Limit oft schon bei acht Bar oder darunter, damit das Felgenhorn, also der Sitz des Reifens, nicht nach außen wegplatzt. Das Zusammenspiel von Felge und Reifen ist übrigens immens wichtig für das Gelingen der Kombination. Erst moderne, von der Innenmaulweite breiter werdende Felgen haben die Entwicklung zu breiteren Reifen ermöglicht.

Würde man einen 25er-, 28er- oder 30er-Faltreifen auf eine Felge mit 15 Millimetern Innenmaulweite montieren, dann wäre das durch die entstehende Birnenform nicht nur aerodynamisch äußerst schlecht, sondern auch vom Fahrverhalten: Der Reifen wäre dabei nämlich zu eng abgestützt und würde in Schräglage unkontrolliert abkippen. Anders sieht es mit zeitgemäßen 19, 20 oder 21 Millimetern von Felgenflanke zu Felgenflanke aus. Hier kann ein deutlich breiterer Reifen eingesetzt werden. Nur so bilden Reifen und Felge eine stimmige Einheit, die von der Form her wie ein umgedrehtes U aussieht. Das ist aerodynamisch besser, weil die Luft hier besser anhaftet.
Noch gravierender, weil besser erfahr­bar, ist die Auswirkung des Luftdrucks, wenn man auf „breiter“ beim Laufrad und gleichzeitig auf „weniger“ beim Druck setzt. Letzterer kann nämlich deutlich gesenkt werden und das hat anders als bei schmalen Reifen durchweg positive Auswirkungen. Konkret: Je mehr Volumen der Reifen hat, umso weniger Druck wird benötigt.

In der Praxis sieht es dann im Extrem so aus, dass ein 30 Millimeter breiter Tubeless-­Reifen auch bei über 90 Kilogramm Systemgewicht (also Fahrer samt Bekleidung und Helm, vollen Trinkflaschen und Rad) mit fünf Bar und darunter gut bedient ist. Auf einem 23er-Faltreifen mit Schlauch wäre hier vor ein paar Jahren noch der zeitnahe Durchschlag samt Reifenschaden programmiert gewesen. Wo kein Schlauch, da aber auch kein „Snakebite“, also der Durchschlag von der Felge durchs Gummi. Interessant hierbei: Wurde bisher auf Labormessungen unter standardisierten Bedingungen zurückgegriffen, um speziell dem optimalen Rollwiderstand auf den Zahn zu fühlen, fließen mittlerweile mehr Praxisdaten ein. Als Ergebnis hat man sich von der Annahme verabschieden müssen, dass der Rollwiderstand immer geringer werden würde, je höher der Druck ist. In der Praxis ist das Gegenteil der Fall, was in erster Linie der Betrachtung des Gesamtsystems inklusive Fahrer und wesentlich heterogenerer Oberflächen auf der Straße als auf der Trommel im Labor geschuldet ist.

Vorab der Hinweis: Das gilt am ehesten auf modernen Fahrrädern mit tubeless-­fähigen Felgen und Reifen, Scheibenbremsen und genug Freiheit zwischen Rahmen/Gabel und Reifen. 25 Millimeter sind hier aus unserer Sicht das Maß, ab dem es ­interessant wird. Und die können auch noch die meisten Räder mit klassischen Felgenbremsen problemlos aufnehmen, ohne dass es irgendwo schleift, selbst bei Nässe und mit Dreck im System. Die Zukunft könnte hier aber noch etwas breiter aussehen.

Felix Schäfermeier, Produktmanager bei Schwalbe, sagt: „28 Millimeter sind aus unserer Sicht die beste Allroundgröße. Hier stimmt das Gewicht, der Reifen bietet noch ein direktes Fahrgefühl und es ist der beste Kompromiss hinsichtlich Rollwiderstand und Dämpfung.“

Rollen statt hüpfen

Die Vorteile von weniger Druck auf mehr Volumen sind zahlreich. Ganz wesentlich und speziell in den vergangenen Jahren immer mehr in den Vordergrund getreten: Der Reifen rollt breit leichter. Im Detail liegt diese gravierende Verbesserung in der Auflage­fläche beziehungsweise Verformung des Reifens in der Rollbewegung begründet. Ein schmaler Reifen hat eine in Fahrtrichtung längsovale Auflagefläche. Je breiter der Reifen wird, desto mehr geht diese Auflagefläche dabei in die Breite und wird kürzer. Vor allem, wenn man den Luftdruck reduziert. Dies muss nicht mal einen Einfluss auf die Gesamtfläche haben, aber über eine kürzere, breitere Fläche rollt oder in diesem Falle walkt das Gummi vom Reifen einfach schneller hinweg. Diese Walkarbeit ist es, die den Rollwiderstand maßgeblich erhöht und sich in Verlust umsetzt.

Ein weiterer Vorteil ist ein verbesserter Grip, vor allem in Kurven. Die Protagonisten vom Anfang fuhren vor allem deshalb hart aufgepumpte Reifen, weil diese sich schnell anfühlten. Das wurde festgemacht in den Erschütterungen, die beim Fahrer ankamen. Schnell musste sich so fahren, war die Annahme. Wenn man genauer hinschaut, dann kommt es auf der Straße aber darauf an, geschmeidig voranzukommen, sich also nach vorn zu bewegen. Harte Reifen „hüpfen“ jedoch zusätzlich auf und ab. Zudem schmiegt sich die „rundere“ Auflagefläche besser an die Fahrbahn als eine längere dünne. Je unebener die Fahrbahn, desto mehr profitiert speziell der Hinterreifen auch durch bessere Kraftübertragung, wenn er mit weniger Druck weniger hüpft. Noch deutlicher wird das bei Nässe. Fahre auch hier lieber weniger Druck im Reifen, um deinen Druck besser auf die Straße zu bekommen. Ein halbes Bar weniger reicht.

Der geprägte Maximaldruck auf der Flanke ist keinesfalls als Empfehlung für den optimalen Wert zu verstehen. Dieser liegt immer darunter.

Bei Triathleten umso wichtiger, je länger die Distanz wird, ist der Fahrkomfort – speziell auf schlechter Fahrbahn. Niedriger Druck kann dir dabei helfen, weniger ermüdet vom Rad zu steigen, weil ein entsprechend sparsam aufgepumpter Reifen die Mikroschläge abfedern kann, die früher direkter beim Fahrer ankamen. Das mag für viele erst mal weit hergeholt klingen. Aber: Sattel und Cockpit haben bei dir sicher einen entsprechenden Stellenwert, schließlich sind das die wesentlichen Kontaktpunkte zum Rad. Wenn hier etwas nicht ideal ist, dann macht sich das meist in Form von Beschwerden bemerkbar. Neben Sattel, Pedalen samt Schuhen und dem Cockpit sind aber auch die Reifen wichtige Kontaktpunkte, nämlich des gesamten Systems Fahrer und Rad zur Straße. Alle Kräfte gehen hierbei durch die Reifen, und zwar durch wenige Quadratzentimeter Auflagefläche, die ganz maßgeblich durch den Fülldruck beeinflusst werden.

Allerdings gilt es, hierbei den optimalen Druck zu treffen. Denn abgesehen vom schwammigeren Fahrverhalten kippt es bei zu niedrigem Luftdruck, ähnlich wie bei zu hohem, wieder Richtung eines schlechteren Rollwiderstands. Je nach Systemgewicht, Innenmaulweite der Felge und Nennbreite des Reifens gibt es hier seitens der Hersteller mittlerweile recht genaue Empfehlungen. Unser Tipp: Halte dich daran. Erstens sind die Unterschiede deutlich (bis zu zwei Bar) und zweitens wird kaum ein Triathlet einen so genauen Popometer haben wie die Teststände der Industrie, die laborseitig das Optimum herauskitzeln. Und dann geht es hier auch um messbare Unterschiede, die sich eins zu eins in Leistungsverlust beziehungsweise -zugewinn festmachen lassen.

Reifendruck als Forschungsobjekt

Dass Reifen zu einer Wissenschaft geworden sind, wussten wir schon aus den Tests der vergangenen Jahre. Wie sehr man hier in die Tiefe einsteigen kann, zeigt zum Beispiel der US-Amerikaner Josh ­Poertner, mit dem man sich stundenlang über die sogenannten „marginal gains“ austauschen kann, also wirklich minimale Verbesserungen von einem Watt oder auch mal darunter. Er war seinerzeit treibende Kraft hinter der Einführung von ZIPPs Carbonlaufrädern selbst auf harten Radkursen wie ­Paris–Roubaix und vertreibt seit ein paar Jahren mit seiner Marke SILCA unter anderem exklusive und sehr genaue Pumpen. Bis die vermeintlich fragilen Laufräder, wie sie im Triathlon Anfang der 2000er schon lange im Betrieb waren, der Belastung speziell auf Kopfsteinpflaster standhielten und auch bei den Radprofis akzeptiert wurden, hatte man sich mit jeder Menge Testapparatur an das gerade noch akzeptable Minimum an Druck und gleichzeitig das rahmenseitig damals gerade noch fahrbare Maximum an Reifenbreite herangetastet.

In Schritten von fünf PSI (pound-force per square inch) wurde der Druck reduziert. Das sind jeweils 0,35 Bar. Man braucht also eine sehr genaue Pumpe. Die Ergebnisse bei geringerem Luftdruck waren (wenn auch auf vergleichsweise ruppigem Untergrund): mehr Komfort, weniger Schäden am Material und höhere Geschwindigkeit bei gleicher Leistung.

Als Zahlenfreak untermauert ­Poertner die Erkenntnisse mit Fakten: „Es gibt ein ideales Fenster, in dem der Reifen am besten performt – und das liegt zwischen gerade noch genug und schon zu viel Druck. Unsere Tests haben gezeigt, dass fünf PSI unter dem optimalen Druck ein Watt kosten können, fünf PSI zu viel aber einen Verlust von drei bis vier Watt bedeuten.“ Noch einmal zur Einordnung: 1 PSI = ca. 0,07 Bar. Also 5 PSI = 0,35 Bar. Laut Poertner das Zünglein an der Waage, das über Gewinn oder Verlust pro Reifen entscheidet!

Was du also mitnehmen kannst: Tendenziell wirst du mit leicht weniger Druck glücklicher. Interessanterweise kippt es dann aber irgendwann wieder in Richtung eines schlechteren Rollwiderstands. Das war auch das Ergebnis unserer Tests in den ­Laboren von Continental und Schwalbe. Natürlich ist das auch von der ­Geschwindigkeit und dem Systemgewicht abhängig, aber es gilt eine gewisse Schwelle zu treffen, bei der man im Zweifel besser beraten scheint, sich leicht darunter als darüber zu bewegen, um im übertragenen Sinn nicht zu platzen. Ähnlich wie bei der anaeroben Schwelle.

Nicht außer Acht lassen sollte man die Auswirkungen von zu viel Druck im Hinblick auf die schlechtere Aerodynamik durch einen minimal breiteren Reifen. Tests von uns haben gezeigt, wie sich bei einem 25-Millimeter-Modell (Continental „GP 4000 S II“) der Reifendruck auf die effektive Breite und damit die Aerodynamik auswirkt. Eine Erhöhung um zwei Bar von sechs auf acht entspricht 0,4 Millimeter mehr in der Breite und das sind immerhin 1,35 Watt, die für die gleiche Geschwindigkeit zusätzlich aufgebracht werden müssen. Hat man im Hinterkopf, dass bei acht Bar eventuell der Punkt schon überschritten ist, an dem ein höherer Druck weniger Rollwiderstand bedeutet, kann sich die Erhöhung des Drucks also doppelt negativ auswirken. Und wo wir gerade bei der Aero­dynamik sind: Der Vorderreifen ist immer der exponiertere Reifen und deshalb sollten Sie an dieser Stelle weiter das schmalere Maß verwenden. Zum Beispiel: vorn 25 Millimeter, hinten 28 oder sogar 30 Millimeter. Stefan Riehle, ehemals bei DT Swiss für die Entwicklung der Aero-Laufräder verantwortlich, sieht aus diesem Grund aktuell vorn bei 25 Millimetern das Limit, weil die Frontal-Anströmung hier so ins Gewicht fällt.

Fazit

Das Motto „Viel hilft viel“ ist beim Thema Reifendruck eindeutig von gestern. Selbst wenn man mit Pauschalisierungen tendenziell vorsichtig sein muss, kannst du mitnehmen, dass „breiter und weniger“ bis zu einer gewissen Schwelle von Vorteil für Ihre Performance ist. Hier kann wirklich jeder seine Rennmaschine für wenig Geld optimieren, und zwar mit Parts, die eh schon verbaut sind. Du musst halt nur mit ­Bedacht und der richtigen Menge an Luft zu Werke ­gehen.

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