Vorsprung durch Technik

Power und Wille nützen beim Kraulschwimmen wenig, wenn die Kraft in die falsche Richtung geht und verpufft. Besser wird, wer die Technik als wichtigsten Faktor für Geschwindigkeit erkennt.

Zeitmanagement ist ein Thema, mit dem sich jede Triathletin und je­ der Triathlet früher oder später beschäftigen muss. Schließlich will man drei Sportarten effizient unter einen Hut bringen – am besten jede Woche. Fürs Schwimmen steht da oft nur ein Zeitfens­ter von 60 bis 90 Minuten zur Verfügung. Deshalb nach dem Motto „viel hilft viel“ vorzugehen und möglichst viele Kilometer abzureißen, ist keine gute Idee. Schwim­men gilt nicht umsonst als technisch anspruchsvoll. Dass die Schwimmtechnik in jeder Trainingseinheit eine Rolle spielen sollte, ist den meisten Triathleten wahr­scheinlich bewusst. Trotzdem schwimmen sie im Zweifel lieber eine weitere harte Ausdauerserie.  „Techniktraining   lässt die Widerstände schrumpfen und ist ein einfacher Weg, mit geringem Aufwand sehr viel schneller zu schwimmen“, sagt Hawaii­-Rekordschwimmer Jan Sibbersen. Nur leider funktioniert das nicht nach ei­nem einfachen Input­-Output-­Modell. Man darf nicht erwarten, ein besserer Schwim­mer zu sein, nur weil man eben ein paar Bahnen einarmig geschwommen ist oder sich ganz besonders auf den Beinschlag konzentriert hat. „Techniktraining ist eine repetitive Sache und Automatisierung das Zauberwort“, sagt Sibbersen. Es geht um Vielfalt bei den Übungen und konsequentes Wiederholen. Dabei muss das Erlernen und Optimieren der Schwimmart Kraul als ste­tiger Prozess gesehen werden, der selbst bei Spitzenathleten niemals beendet ist.

Facts

  • Technikübungen helfen Einsteigern, die Kraulbewegung einzustudieren. Außerdem werden sie eingesetzt, um Fehler zu korrigieren und vielfältige   Bewegungserfahrungen zu ermöglichen.
  • Technikübungen sollten langsam und übertrieben ausgeführt wer- den, um die gewünschten Effekte zu erzielen.
  • Auch häufiges Schwimmen ist Techniktraining. Einerseits werden Bewegungsmuster automatisiert, andererseits setzen bestimmte Elemente wie die hohe Ellbogenführung unter Wasser spezielle Kraftfähigkeiten voraus, die am besten beim Schwimmen trainiert werden.

Von der Grob- zur Feinform

Die Aneignung neuer Bewegungen wird in der Sportwissenschaft als motorisches Lernen bezeichnet. Lernen kann dabei als Suche nach der Lösung für ein Bewegungs­problem beschrieben werden. Beim Bewe­gungslernen kommt es zu einer Abfolge der Schritte Bewegungsvorstellung, Bewe­gungsausführung und Bewegungswahr­nehmung. Beim Kraulschwimmen hat jeder Einsteiger allein schon durch Fernsehbil­der sofort eine Vorstellung von der Zielbe­wegung im Kopf. Schwierig wird es im Was­ser mit der praktischen Umsetzung des Gesehenen – auch das kennt jeder Anfän­ger. Die geistige Vorstellung der komplexen Kraulbewegung und ihre tatsächliche Durchführung weichen oft stark voneinan­der ab. Das ungewohnte Medium Wasser und die liegende Position machen es zu­sätzlich schwer.

Das Erlernen der Kraultechnik vollzieht sich in drei Schritten von der Grobform zur Feinform. Dabei kommen zahlreiche Tech­nikübungen zum Einsatz, die dem Triathle­ten ein Gefühl für die korrekte Bewegung vermitteln. In der ersten Phase geht es um die Teilbewegungen Armzug und Bein­ schlag sowie deren Koordination mit der Atmung. Der Athlet greift bei der Ausfüh­rung zunächst auf ähnliche Bewegungs­muster in seinem motorischen Gedächtnis zurück. Dabei zeigen sich schnell die Vor­ teile einer vielfältigen Bewegungshistorie insbesondere in der Kindheit. Die vielen Fehler, die im ersten Schritt noch gemacht werden, gilt es in der zweiten Phase so gut wie möglich auszumerzen. Phase drei hat die Stabilisierung der Feinkoordination zum Ziel. Dazu zählt auch die Fähigkeit, die Kraulbewegung unter störenden Einflüs­sen technisch korrekt ausführen zu kön­nen. Die Bewegung ist in diesem Stadium bereits automatisiert und der Fokus kann stärker auf taktische und konditionelle An­forderungen gelegt werden, natürlich ohne die Technik jemals ganz aus den Augen zu verlieren. In jeder Phase spielen Technikübungen eine entscheidende Rolle. Mit ihnen kann der Fokus des Sportlers auf ein wesentli­ches Merkmal der Kraulbewegung gelenkt werden – mit dem Ziel, dieses zu verbes­sern. Neben konkreten technischen Aus­führungstipps durch den Trainer („Ellbo­gen höher!“, „Stärker rotieren!“, „Später atmen!“) ist es genauso wichtig, dem Sport­ler vielfältige Bewegungserfahrungen zu ermöglichen und die technische Flexibilität zu verbessern, sagt Petra Wolfram. Die Schwimmtrainerin führte Athleten zu Olympischen Spielen und betreut zahlrei­che Triathleten. „Techniktraining hört nie auf“, sagt sie. „Doch gerade im Freiwasser müssen Triathleten die Kraulbewegungen situativ einsetzen und an wechselnde Bedingungen anpassen können. Das setzt technische Variabilität voraus.“

Basis jeder sportlichen Bewegung sind die jeweiligen koordinativen Fähigkeiten. Beim Schwimmen sind das insbesondere die Rhythmisierungsfähigkeit, die Kopp­lungsfähigkeit, die Orientierungsfähigkeit und die Gleichgewichtsfähigkeit. Ausdauer­ lastiges Training mit ständig wiederkehren­ den Bewegungsabläufen ist kaum dazu ge­ eignet, die koordinativen Fähigkeiten zu entwickeln. Doch genau diese Fähigkeiten sind wichtig, denn sie bestimmen das öko­nomische Zusammenspiel zwischen Mus­keln und Muskelgruppen, das vom zentra­len Nervensystem gesteuert wird. Je besser es funktioniert, desto leichter lassen sich technisch komplexe Bewegungsabläufe erlernen und energieeffizient verfeinern. Trainiert werden die koordinativen Fähig­keiten mit Aufgaben und Übungen, die außerhalb der klassischen Schwimmtech­nik liegen. Die Tabelle unten zeigt jeweils vier bekannte Technikübungen aus fünf unterschiedlichen Kategorien.

Hilfsmittel

TOOLWIRKUNG
PULLBUOYverbessert den Auftrieb
FLOSSENerhöhen die Geschwindigkeit, verbessern die Wasserlage
FUSSRINGfixiert die Füße, fordert stärkeren Einsatz der Arm- und Schultermuskulatur
FRONT- SCHNORCHELermöglicht das Schwimmen mit hoher Wasserlage, ohne diese bei der Atmung zu verändern
PADDLESerhöhen den Widerstand, können das Gefühl für das Anstellen des Unterarms entwickeln
FINGERPADDLESerhöhen den Widerstand an den Fingern, verbessern das Gefühl beim Wasserfassen

Praktische Durchführung

Techniktraining findet in der Regel zu Be­ginn einer Trainingseinheit statt, dann sind die physischen und psychischen Vor­aussetzungen für schwierige Bewegungs­anforderungen am besten. Die Nutzung von Hilfsmitteln sollte sich in Grenzen hal­ten, weil sich das Schwimmen ohne sie dichter an der Zieltechnik befindet. Im Sinne der Vielseitigkeit ist der gelegent­liche Einsatz von Paddles, Pull­buoy, Flossen und Co. dennoch sinnvoll. Ziel­ gerichtet eingesetzt verbessern sie die Wasserlage und erhöhen die konditionel­len Anforderungen. Sogar eine gleichzeiti­ge Schulung von konditionellen und koor­dinativen Fähigkeiten ist möglich. Wichtig ist jedoch, die Übungen nur so lange zu schwimmen, wie sie kräftemäßig bei einer technisch korrekten Ausführung bewältigt werden können.

Technikübungen in 5 Kategorien

WASSERGEFÜHLS- ÜBUNGENKOMBINATIONS- ÜBUNGENKOORDINATIONS- ÜBUNGENKONTRAST- ÜBUNGENKORREKTUR- ÜBUNGEN
WriggenKraularme mit DelfinbeinenTippen der AchselhöhleKraul einarmigAtempyramide
Rückwärts- schwimmenKraularme mit BrustbeinenAbschlag mit ZusatzübungenFaustArm- und Fingerhaltung
Kraulbeine mit variierender ArmpositionDelfinarme mit KraulbeinenKraulbeine in Seit- lage, Wechsel mit KraularmzugEntenschwimmenKopfhaltung in Verlängerung der Wirbelsäule
offene Hand/Faust im WechselBrustarme mit KraulbeinenKraul-ZeitlupeKraul ChickenwingsHüftstreckung und Körperspannung

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